Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)
THOMAS, Christiane: Die Bergung der kaiserlichen Kunstschätze und des Archivs 1866
289 Die Bergung der kaiserlichen Kunstschätze und des Archivs 1866 Notiz konnte sich der Statthalter im folgenden Jahr berufen, als er die Rückgabe der Kleinodien forderte. Trotz der Bemühungen, die Übersiedlung geheimzuhalten, waren diesbezügliche Nachrichten an die Presse durchgesickert: das Oberstkämmereramt teilte Graf Belcredi mit „Befremden" mit, daß „hiesige Blätter“ schon am 24. Mai — dem Tag nach der Entgegennahme in der Schatzkammer — unter Berufung auf ein Telegramm aus Prag über die Angelegenheit informiert waren12). Nachträglich entspann sich drei Monate später ein Streit der beteiligten Stellen über das Problem der Kostendeckung. Der Staatsminister vertrat hiebei die Interessen der Statthalterei, die sich weigerte, die Auslagen zu bestreiten, da sie einem „dem ordentlichen Wirkungskreis der Statthalterei ferne stehenden Zweck“ dienten. Aber der Oberstkämmerer war nicht gewillt, nachzugeben: als einzig und allein für den Empfang der Objekte verantwortlich, lehnte er es ab, seine Dotation, deren Bestimmung gebunden war, damit zu belasten und überließ es Graf Belcredi, einen „Fonds zu ermitteln“ 13). Der „lichtleere Raum“ der Schatzkammer, in dem auch seit Juli 1861 die Kroninsignien des lombardo-venetianischen Königreiches untergebracht waren 14), wurde sozusagen zum Geheimdepot der Sammlung. Als letztes in der Reihe der dort „inoffiziell“ geborgenen Hoheitszeichen traf am 6. Juli 1866 der österreichische Erzherzogshut aus Klosterneuburg ein15). Hatte Joseph II. versucht, als Manifestation des Zentralismus die symbolischen Zeichen seiner Herrschaft in seiner Residenz zu vereinen, so war es jetzt der zwingende Druck einer Gefahr von außen, der die Wiener Schatzkammer zum Zufluchtsort par excellence stempelte. Nie wieder sollte sich das Faktum einer solchen Häufung von Kronen und Krönungsornaten in der Schatzkammer wiederholen: nie wieder waren römisch-deutsche, rudol- phinische, böhmische, lombardo-venetianische Kleinodien, der Erzherzogshut und die Brillantkrone der Kaiserin der Obhut eines Mannes, des Wiener Schatzmeisters, anvertraut. Was zu Beginn des Krieges vielleicht niemandem als möglich, oder zumindest wahrscheinlich erschienen war, schob sich nach den Ereignissen der ersten Julitage als brennende Frage in den Vordergrund. Die Bedrohung der Hauptstadt gefährdete nicht nur den überreichen Insignienschatz in der Burg 10); sollten die Kunstwerke der kaiserlichen Sammlun- * 15 16 ls) OKäA „Überführung“, Nr. 1163. u) Lhotsky, S. 534. Schatzkammerarchiv (hinfort: Schka.) Fasz. 18, 1861, Nr. 51. Siehe unten, S. 295 f. Über die lombardo-venetianischen Kleinodien vgl. Lord Twining, S. 415—426. 15) OKäA 1866, Rubrik 65/2, Nr. 1031. Für den Klosterneuburger Erzherzogshut siehe neben Lord Twining, S. 3 vor allem Wolfgang Pauker und Ernst Kris, Österreichs Erzherzogenhut im Stift Klosterneuburg, S. 229—248 in: Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien, Neue Folge Band 7 (Wien, 1933). 16) In der Folge soll im Detail auf die Bergungsobjekte der kaiserlichen weltlichen Schatzkammer eingegangen werden, handelte es sich doch dabei um Mitteilungen, Band 17/18 19