Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)
THOMAS, Christiane: Die Bergung der kaiserlichen Kunstschätze und des Archivs 1866
290 Christiane Thomas gen, sollte das kaiserliche Archiv den Feinden preisgegeben werden? Die Zeit drängte, rasche, aber wohlüberlegt gefaßte Entschlüsse mußten fallen, um unschätzbares Kunst- und Archivaliengut zu retten. Bemerkenswerterweise ergriff — im Gegensatz zu den Hofsammlungen — für das Staatsarchiv Direktor Erb die Initiative. Schon am 5. Juli erbat er sich mündlich vom Ministerium des Äußern eine Weisung über etwaige Vorkehrungen zum Schutz seiner Archivalien und rechtfertigte sein Ansuchen in einer schriftlichen Eingabe vom 6. Juli mit der Last der Verantwortung, die die zeitraubende Tätigkeit der Aussonderung und Verpackung von Archivbeständen der Direktion aufbürdeten 17). Vizedirektor Arneth hielt diese Anfrage für überflüssig; aus einer Masse von 100.000 Faszikeln das Wesentlichste auszusortieren, wäre in der Praxis undurchführbar18 *). Die Antwort Graf Esterházys, als Vertreter des Ministers, befahl Erb, „möglichst unauffällig den wertvollsten Teil zu verpacken“ 1#). Damit war für das Staatsarchiv, bevor noch die Beratungen über die Kunstsammlungen begonnen hatten, bereits die Entscheidung getroffen worden. Noch vor seiner Enthebung als Stellvertreter des Obersthofmeisters am 6. Juli hatte Graf Kuefstein den Kaiser von der Notwendigkeit überzeugt, „die wertvollsten Gegenstände der Schatzkammer, Sammlungen und sonstigen Hofeffekten, wie auch des Haus-, Hof- und Staatsarchivs und der allerhöchsten Familien- und Privatkassa vor einer feindlichen Invasion in Sicherheit zu bringen“ 20). Die Einleitung des Transportes und der Deponierung im Zeughaus von Ofen wurde Oberststallmeister Graf Grünne übertragen, der zu einer ersten informativen Besprechung die Kanzleidirektoren der vier obersten Hofämter und des Ministeriums des Äußern sowie den Direktor der Familienfondskassa einberief. Die versammelten Beamten stimmten überein, den Transport auf einem Schiff donauabwärts durchzuführen. Der Kanzleidirektor des Obersthofmeisteramtes Dräxler von Carin, verwendete sich dafür, die leicht verderblichen Schätze der Hofbibliothek und die Mantuaner Tapeten gesondert als Bahnfracht nach Graz die sowohl staatsrechtlich als auch künstlerisch bedeutendsten geflüchteten Einzelstücke. Zudem fußt die Arbeit auf der ungedruckten Dissertation der Verfasserin, Die Wiener Weltliche Schatzkammer, Verwaltung und Funktion 1800 bis 1870, (Wien phil. Diss., 1964) und versucht, ausgehend von der Identifizierung des Schatzkammerbestandes, ergänzend die übrigen Hofsammlungen zu erfassen. Wegen der allzu reichen Fülle an Gegenständen kann ein solches Bemühen nur eine Skizze bleiben. — An dieser Stelle sei bereits als parallele Spezialuntersuchung auf den Aufsatz Walter Pillichs, Die Flüchtung der Schatzkammer, des Archivs und der Hofbibliothek aus Wien im Jahre 1683, S. 136—147 in: Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, Band 10 (Wien, 1957) hingewiesen. 17) KA 1866, Nr. 166. ls) Alfred Ritter von Arneth, Aus meinem Leben (Wien, 1892), S. 290. !») KA 1866, Nr. 167. 20) ZA Prot. 78, 1866, S. 62.