Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 17/18. (1964/65)

BLAAS, Richard: Die Anfänge des österreichischen Brasilienhandels

230 Richard Blaas von ihrem Überfluße den westlichen Minen- und nördlichen Plantagenlän­dern zuzuführen, welch letztere wegen des heißen Klimas dagegen wieder am schicklichsten der schwarzen und farbigen Menschenrace zum Anbau überlassen würden. Auf diese Weise entstünde eine auf wechselseitiges Interesse gegründete Verbindung zwischen den durch ihre physische Be­schaffenheit getrennten, sich gegenwärtig ganz fremden Landestheile. Rio Grande brächte z. B. mehr Getreide hervor, damit in Minas mehr Gold gewaschen, in Pernambuco mehr Baumwolle erzeugt werden könnte, und nicht wenig trüge es zur Erhaltung dieser Verbindung bei, wenn der Sitz der Regierung weiter in das Innere des Landes verlegt würde, etwa dahin, wo zahlreiche Ströme, leicht schiffbar zu machen, nach Nord und Süd aus­gehen und wo Kommunikationsstrassen nach allen Richtungen ohne große Schwierigkeiten angelegt werden könnten. Rio de Janeiro weit weniger zur Residenz geeignet, scheint dagegen von der Natur zum Mittelpunkt des Verkehrs zur See zwischen den Ackerbau- und den Plantagenländern und zur Hauptniederlage des brasilianischen Handels bestimmt zu sein. Die gegenwärtig in allen Provinzen zerstreute wilde Bevölkerung Brasiliens soll etwas über eine Million betragen. Würden diese unglücklichen Ur­einwohner, statt sie in dem jetzt üblichen Vertilgungskrieg endlich ganz auszurotten, durch milde Behandlung nach und nach an feste Wohnsitze gewöhnt, wie es ehemals die Jesuiten getan und wie es eben jetzt in Nord­amerika geschieht und schlüge man diese Urbevölkerung zu den obigen drei Millionen hinzu, so könnte Brasilien nach den bisher anderswo ge­machten Beobachtungen in 25 Jahren leicht 8—9 Millionen und, voraus­gesetzt daß in den ersten Gliedern der Progression die Vermehrung der Nahrungsmittel noch im gleichen Maße steige, in 50 Jahren 16—18 Millio­nen zählen. Eine solche Erhöhung der Menschenzahl hätte progressive Erhöhung der Konsumation und des Luxus zur notwendigen Folge. Das Element des europäischen Handels, der Austausch von Manufakturewaren gegen tropische Produkte, würde daher noch lange Jahre bestehen, denn wer mag die Zeit zu berechnen, in welcher Richtung es für Brasilien vor­teilhaft wäre, eigene Manufakturen zu errichten? Sie dürfte wohl erst als­dann für die südlichen Provinzen eintreten, wenn diese mehr Nahrungs­mittel erzeugten, als sie zur Ernährung ihrer eigenen ackerbautreibenden Bevölkerung und zur Consumation der verschwisterten Plantagen- und Minenprovinzen bedürften“ 63). Diese zukunftsoffene Prognose über die weitere Entwicklung Brasiliens rechtfertigte die weiteren Bemühungen um den Abschluß eines Handelstraktates. Die Vertragsverhandlungen waren 1818 ins Stocken geraten. Neveu befürchtete mit Recht Schwierigkeiten von Seite der portugiesischen Handelsvertretung. „Es ist nämlich bekannt“, meldete er nach Wien, „daß sämtliche portugiesische Behörden und die zahlreiche portugiesische Parthei am Hofe von Rio Janeiro bemüht sind, den Sitz der Regierung wieder nach Europa verlegen zu machen, Brasilien 53 53) Bericht Neveau vom 25. Mai 1818 in St.K. Dipl. Korr., Brasilien, Fasz. 4.

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