Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

KANN, Robert A.: Joseph Maria Baernreithers und Graf Ottokar Czernins fragmentarische Darstellung der Sixtus-Affaire. Auf Grund der Aufzeichnungen und Dokumente im Baernreitherschen Nachlaß

J. M. Baernreithers und Graf O. Czernins Darstellung der Sixtus-Affaire 437 Vorfälle anderer Art, welche jedoch in engerem Contact mit der im Früh­jahr 1918 geplatzten Briefaffaire standen. Ich hatte am 12. 4. 1917 einen Bericht an K. K. und durch ihn an K. Wilhelm geschickt, welcher seither bereits öffentlich bekannt geworden ist; ich schilderte darin die äußerst precäre Situation und riet einen Frie­den mit F. (? Frankreich) an. Dieser Bericht, welcher unsere bedrängte Lage schilderte, war selbstverständlich streng geheim und nur für beide Kaiser und ihre Ratgeber bestimmt56). Am 22. 8. 1917 meldet Hohenlohe aus Berlin, daß er von der deutschen Regierung erfahren habe, daß dieser mein Bericht in unbefugte deutsche Hände und von dort möglicherweise in die Schweiz und in die Hände von Ententevertretern gelangt sei, denn Erzberger hat denselben in Frankfurt a. M. vor ungefähr 200 Personen verlesen. (Herr E. hat später die Zahl seiner Zuhörer bedeutend geringer angegeben.) Die deutsche Regierung sowie Hohenlohe drängten auf Klarstellung des Sachverhalts. Der K. sofort von mir unterrichtet war empört; er erklärte, es könne nur eine grobe Fahrlässigkeit — wenn nicht mehr — seitens des M. (Ministeriums?) des Äußeren (?) vorliegen und er befahl mir, sofort eine Untersuchung einzu­leiten und den Schuldigen strenger Strafe zuzuführen. Die Nachforschun­gen im M. ergaben jedoch die völlige Schuldlosigkeit der Beamten. Am 30. 4. berichtete Hohenlohe, der Staatssecretär sei sehr erregt und fest entschlossen, den Fall um jeden Preis zu klären; Herr von Kühlmann würde, wenn nötig, Herrn Erzberger zu einer eidlichen Aussage darüber, wo(her?) man das Schriftstück hatte, verhalten 57). K. K., welcher ebenfalls fortgesetzt auf Klarstellung des Sachverhalts drängte, erklärte „vor einem Rätsel zu stehen“, da er Erzberger seit dem Winter überhaupt nicht gesehen hat. Er betonte, es müsse eine grobe In­discretion in Berlin vorliegen, welche beweise, daß ein vertraulicher Mei­nungsaustausch mit der Wilhelmstraße unmöglich sei. Am 3. August meldet Hohenlohe über seine Unterredung mit H. Erzberger, welcher angab: „Er habe das Exposé in Wien erhalten und den Inhalt mit Sr. Maj. durchbe­56) Bezieht sich offensichtlich auf die geheime Denkschrift Czernins, welche möglicher- aber nicht notwendigerweise durch eine Indiskretion des Zentrums­abgeordneten Erzberger zur Kenntnis der Alliierten gelangte. Siehe die neueste Darstellung dieser Angelegenheit in Klaus Epstein, Matthias Erzberger, Prince­ton 1959, 172 ff., 206 ff. Siehe auch O. Czemin, Im Weltkrieg, 212, 220, 250. Czernin spricht Erzberger hier den guten Glauben in seiner Handlungsweise nicht ab. R. Fester, zweifellos ein dem Kaiser ungünstig gesinnter Historiker, a. a. 0„ 182 ff., nimmt hier wie in der Sixtusaffäre an, der Kaiser hätte wissentlich eine wesentliche Tatsache, die Übergabe der Denkschrift an Erz­berger, in Abrede gestellt. M. Erzberger selbst in seinen „Erlebnisse im Welt­krieg“, Stuttgart 1920, 113 ff., erklärt bloß, er sei „auf die korrekteste Weise der Welt“ in den Besitz von Czernins Denkschrift gekommen, eine Bemerkung, die an den strittigen Punkten geflissentlich vorbeigeht. 57) Siehe R. v. Kühlmann, Erinnerungen. Heidelberg 1948, 490 ff., 568.

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