Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

KANN, Robert A.: Joseph Maria Baernreithers und Graf Ottokar Czernins fragmentarische Darstellung der Sixtus-Affaire. Auf Grund der Aufzeichnungen und Dokumente im Baernreitherschen Nachlaß

430 Robert A. Kann D. Wann die im folgenden wiedergegebene Darstellung Czernins über die geheimen Friedensverhandlungen von Baernreither offenbar nach Diktat geschrieben beziehungsweise großenteils stenographiert wurde, geht aus dem Manuskript, das dem Tagebuchband XIX, Fasz. VII des Nachlasses beigeschlossen ist, nicht hervor. Als terminus ad quem, bis zu dem man die Niederschrift Baernreithers ansetzen muß, ist natürlich dessen Tod im September 1925 anzusehen, als terminus a quo, vor dem sie nicht verfaßt sein konnte, wird man das letzte, in Czernins Darstellung selbst angegebene Datum, den 15. August 1919 ansehen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, daß das gegenständliche Dokument in einem verhältnismäßig frühen Abschnitt dieser sechs Jahre verfaßt wurde. Zunächst war Baernreithers Gesundheit in den letzten Jahren seines Lebens schon recht schwach und es ist kaum anzunehmen, daß er im hohen Alter die Mühen der Niederschrift auf sich nahm. Ferner liegt es nahe, zu vermuten, daß die Darstellung durch die früher zitierte Zeitungspolemik, an der der frühere deutsche Botschaf­ter in Wien, Graf Wedel, Sektionschef außer Dienst Baron Schager- Eckartsau und schließlich Czernin selbst teilnahmen, ausgelöst wurde. Die­ser wenig erfreuliche Streit in der Öffentlichkeit fand nun zwischen Jän­ner und März 1920 statt. Im selben Jahr ist aber auch die im November 1919 abgeschlossene vorerwähnte Darstellung der Affäre von G. de Man- teyer erschienen, die bekanntlich den Standpunkt des Prinzen Sixtus wie­dergibt. Czernin befand sich seit Oktober 1920 als Mitglied des neugewähl­ten Nationalrates den größten Teil des Jahres in Wien. Man kann vielleicht annehmen, daß die so zeitnahe Niederschrift entweder im späten Frühjahr 1920 oder im folgenden Herbst und Winter 1920/21 abgefaßt wurde 49. Ohne der Beurteilung des folgenden Dokumentes vorgreifen zu wollen, darf man aus seinem streng vertraulichen Charakter wohl die Folge ziehen, daß sich Czernin trotz sachlicher und persönlicher Gegnerschaft zu ver­schiedenen Zügen der kaiserlichen Politik, doch im grundsätzlichen zu dem Ehrenkodex der hohen und insbesonders der aristokratischen Würdenträ­ger des kaiserlichen Österreich bekannte: die Krone nach dem Umsturz in der Öffentlichkeit nicht anzugreifen und eine billige Möglichkeit der Popu­laritätshascherei und Befriedigung der Sensationslust der Menge von sich zu weisen, die vor dem November 1918 nicht bestanden hatte. Die folgende Niederschrift bezieht sich nicht nur auf die Sixtusaffäre, sondern auch auf andere geheime Friedensverhandlungen, insbesondere die zwischen dem Grafen Revertera auf österreichischer Seite und dem 49) Über Baernreithers letzte Lebensjahre siehe Joseph Redlichs Vorrede zu „Fragmente ...“, 36 f.; über die Zeitungspolemiken, Demblin, a. a. O., 77—95, Polzer-Hoditz, a. a. O., 604 f. Es wäre hier auch auf den von Czernin im folgenden erwähnten, im August 1919 veröffentlichten Bericht des fran­zösischen Journalisten Marcel Laurent hinzuweisen.

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