Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
KANN, Robert A.: Joseph Maria Baernreithers und Graf Ottokar Czernins fragmentarische Darstellung der Sixtus-Affaire. Auf Grund der Aufzeichnungen und Dokumente im Baernreitherschen Nachlaß
J. M. Baemreithers und Gi'af O. Czernins Darstellung der Sixtus-Affaire 429 mes Czernins, das Mitteleuropa und den deutschen Kurs in Österreich bejaht, gleichzeitig aber die volle Selbständigkeit der Monarchie gegenüber Deutschland wahren sollte 47. Dies ist im wesentlichen das Ende der Aufzeichnungen Baernreithers über Czernin und die Sixtusaffäre, deren Erörterung nur einen kleinen Ausschnitt der politischen Beziehungen zwischen den beiden Männern darstellt. Sie hat gewiß nicht auf dier Grundlage einer verläßlichen Freundschaft beruht. Dies geht unter anderem aus dem Umstand hervor, daß Baernreither auch später noch sorgfältig abfällige Urteile österreichischer Diplomaten über Czernin in seinen Tagebüchern festhält48. Man darf diesem Mangel an letzter Wertschätzung bei so intimem Verkehr vielleicht nicht übergroße Bedeutung beimessen. Die hochfahrende, ungestüme und launenhafte Persönlichkeit Czernins war nicht danach angetan, Vertrauen zu erwecken, sie vermochte zeitweise manche durch ihre Brillanz zu fesseln, sie konnte aber weder Freunde erwerben und noch weniger sie behalten. Trotzdem ist die große Linie in Baernreithers Aufzeichnungen unverkennbar. Czernins hochfahrendes und manchmal intrigantes Wesen stößt ihn ebenso ab wie ihn seine geistigen Fähigkeiten und sein gelegentlicher Charme anziehen. Eine hinreichende Erklärung, warum Czernin die Aufdeckung der Sixtusaffäre am 2. April 1918 ins Rollen gebracht, bringt auch er nicht, andererseits bezweifelt er in keiner Weise dessen Treue zum deutschen Bündnis und seine Unkenntnis des Sixtusbriefes. Die Frage von Czernins Loyalität gegenüber dem Kaiser, die im Vordergrund der Angriffe seiner Gegner steht, spielt für Baernreither keine Rolle, weil dieses Problem ihm gegenüber dem der Bündnistreue und dem Schicksal des Deutschtums in Österreich wie jenseits der Grenzen eine Frage zweiter Ordnung bedeutet. Jedenfalls nimmt er nicht an, daß Czernin die Loyalitätspflicht gegenüber Kaiser Karl verletzt hätte. Er beurteilt Czernin nicht auf Grund seines Verhaltens in der Demissionskrise gegenüber dem Kaiser, einschließlich der ungewöhnlichen Forderung nach einer ehrenwörtlichen Erklärung des Monarchen, obwohl Baernreither die näheren Umstände der Krise, wie aus dem folgenden ersichtlich, später bekannt werden. Baernreither beobachtet wohl die starr formelhafte Leugnung der Behauptung, der Kaiser hätte den Sixtusbrief geschrieben, von seiten Czernins. Der Auffassung, dieser hätte durch sein sozusagen mechanisches Dementi genau das Gegenteil von dem zum Ausdruck bringen wollen, was er bestritten habe, schließt Baernreither sich darum aber nicht an. Nicht menschlich, aber sachlich steht er auf seiten Czernins. 47) Ibid. XIX. 48) Ibid. XIX, Eintragung vom 31. X. 1918 über ein vernichtendes Charakterurteil seitens des Diplomaten Heinrich Wildner, und Fasz. VIII, Tagebuchnotiz vom 20. IV. 1924, eine der letzten Baernreithers, über ein gleichfalls sehr abfälliges Urteil des früheren österreichischen Botschafters in Rom, Kajetan von Merey.