Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
KANN, Robert A.: Joseph Maria Baernreithers und Graf Ottokar Czernins fragmentarische Darstellung der Sixtus-Affaire. Auf Grund der Aufzeichnungen und Dokumente im Baernreitherschen Nachlaß
J. M. Baernreithers und Graf O. Czernins Darstellung der Sixtus-Affaire 421 die in diesen Bänden veröffentlicht sind, spricht Baernreither vielfach und zwar schon seit 1906 über Unterredungen mit Czernin und dessen Ansichten. Ein Werturteil wird hier jedoch nur ganz vereinzelt ausgesprochen. In einer Aufzeichnung aus Budapest vom 22. November 1912 bemerkt er, daß die feindselige Haltung Czernins gegenüber Serbien „offenbar aus der Atmosphäre Franz Ferdinands“ stamme und in einer Unterredung mit König Ferdinand von Bulgarien in Wien am 23. November 1913 erklärt er, daß Czernin, der damals Gesandter in Bukarest war, „sich niemals zu einer Politik der Intrigue oder des Doppelspieles hergeben werde 21.“ Freilich war diese Erklärung pro foro externo gegenüber einem fremden Souverän wohl selbstverständlich. In der böhmischen Frage bezeichnet Baernreither Czernins Schlußfolgerung im Jahre 1906 einmal als voreilig und im Jahre 1910 bemerkt er in ähnlichem Zusammenhang in Bezug auf die Landtagspolitik, man wolle wissen, „daß der Thronfolger mehr unter dem Einfluß von Czernin steht, als umgekehrt22 23.“ In allen sonstigen vielfachen Hinweisen auf Czernin vor Ausbruch des Krieges, die durch dessen unbezweifelte hohe Intelligenz und nahe Beziehung mit dem Thronfolger hinreichend erklärt werden, enthält sich Baernreither einer direkten Beurteilung. In der gegenständlichen Untersuchung, die sich auf die Weltkriegssituation bezieht, greifen wir nun direkt auf den Nachlaß zurück. Im Zuge der folgenden stürmischen Ereignisse werden hier vielfach Werturteile abgegeben, von denen nur die markantesten zitiert werden können, die sich auf Czernin, aber, was im Zusammenhang dieser Arbeit wesentlich ist, auch auf Kaiser Karl beziehen. Auf die Tatbestände selbst, die diesen Urteilen zugrunde liegen, kann aus Eaummangel leider nicht näher eingegangen werden. Am 28. II. 1915 berichtet Baernreither über eine Unterredung mit dem Markgrafen Pallavicini, der mit dem damaligen Thronfolger Erzherzog Karl öfters zusammengetroffen sei und sich bitter über dessen Unreife beklagte 2S). Am 20. I. 1917, also schon nach dem Thronwechsel, folgt dann eine interessante Charakterisierung Czernins, der zu diesem Zeitpunkt bereits Minister des Äußeren war. „Gestern war ich bei Czernin. Er ist ein radikal, aber klar denkender Mensch.“ Am darauffolgenden Tage macht Baernreither dann eine Eintragung, die sich auf Czernins Arroganz und Taktlosigkeit, insbesonders gegenüber dem amerikanischen Botschafter sehen von einer Reihe von Spezialgebieten umfaßt der Nachlaß als wertvollsten Bestandteil vor allem die Tagebücher I—XIX, die, wenn auch nicht geschlossen, so doch vielfach in großer Ausführlichkeit den Zeitabschnitt von 1897—1918 behandeln. Einzelne Aufzeichnungen gehen bis 1894 zurück, die letzten wurden 1924 eingetragen. 21) Fragmente ... 176, 283. 22) Verfall, 177, 187. 23) Fasz. VI, Tagebuch Bd. XIV.