Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

KANN, Robert A.: Joseph Maria Baernreithers und Graf Ottokar Czernins fragmentarische Darstellung der Sixtus-Affaire. Auf Grund der Aufzeichnungen und Dokumente im Baernreitherschen Nachlaß

420 Robert A. Kann Erzherzog gerichteten Memorandum vom Februar 1909, in dem Czernin führende Parlamentarier vor dem Thronfolger Revue passieren läßt, spricht er folgendermaßen über Baernreither: . sehr gescheit und gebildet. Brillianter Redner. Aber völlig unverläßlich und dermaßen verlogen, daß es ihm schmerzlich ist, jemals die Wahrheit zu sprechen. Dabei furchtsam wie eine hysterische Frau. Sehr ambitiös. Jedes Ministerium, in das er eintritt, ist schon verloren.“ Neben verschiedenen anderen abfälligen Äußerungen über Baernreither ist vielleicht die stärkste die gleichfalls in einem Schreiben an den Erzherzog dd. 26. VII. 1910 enthaltene, wo­nach Baernreither als der Mann bezeichnet wird, „der mit den meisten Schweinereien Europas in ständigem Contact lebt. ...“ Es ist bemerkens­wert, daß Czernin zum Zeitpunkt, da diese Äußerungen fielen, Baernreithers Unterstützung in Fragen der böhmischen Landtagspolitik in Anspruch nahm und auch sonst, wie aus Baernreithers Aufzeichnungen hervorgeht, mit ihm in engem politischen Kontakt stand. Nun ist es richtig, daß auch Joseph Redlich, der sich als Freund Baernreithers bezeichnete und jeden­falls dessen Testamentsvollstrecker war, „von den intriganten Plänen des Dr. Baernreither“ spricht18). Andererseits spricht wiederum Baernreither in seinen Tagebüchern von dem Opportunismus seines Freundes und Te­stamentsvollstreckers Redlich und bemerkt, er „ist unterwürfig wie ein Hund“ 19). Auch hier wurde die intime politische Beziehung der beiden Parlamentarier durch derlei Bekenntnisse in camera caritatis durchaus nicht berührt. In der Eigenart derartiger Beziehungen spielen zweifellos persönliches Temperament, im Falle Czernins wohl auch Besorgtheit um die Gunst des Erzherzogs, vor allem aber auch der genius loci des österreichi­schen öffentlichen Lebens der damaligen Zeit eine Rolle. Baernreither, der uns seinen monumentalen Nachlaß hinterlassen hat, von dem nur ein Bruchteil in zwei Bänden nach seinem Tode herausge­geben wurde, hat sohin viel ausgiebiger Gelegenheit über Czernin zu sprechen als dieser über ihn20). In den Vorkriegstagebucheintragungen, wird hier insbesonders S. 131 f. Bezug genommen. Siehe in diesem Zusammen­hang auch R. A. Kann, Erzherzog Franz Ferdinand und die österreichischen Deutschen. MÖST, Bd. XIII, 1960, 396 ff. 18) Schicksalsjahre Österreichs, Bd. II, 271, J. M. Baernreither, Fragmente eines politischen Tagebuches, Berlin 1928. Als Freund wird Baernreither in Redlichs Vorwort zu J. M. Baernreither, Fragmente eines politischen Tage­buchs ..., Berlin 1928, bezeichnet. i») Nachlaß Baernreither, Eintragung und Faszikel VII, Bd. 18 der Tage­bücher, vom 4. Juli 17. Siehe auch die Eintragung vom 28. Juli 1914, Fasz. VI, Bd. 15. 20) J. M. Baernreither, a. a. O., herausgegeben von J. Redlich, und das von Oskar Mitis herausgegebene Werk „Der Verfall des Habsburgerreiches und die Deutschen“, Wien 1938. Die dritte Veröffentlichung aus dem Nachlaß „Römi­sches Tagebuch“, Berlin 1930, kommt für diese Arbeit nicht in Betracht. Der im Haus-, Hof- und Staatsarchiv erliegende Gesamtnachlaß Baern­reithers umfaßt 47 Faszikel in einer Anzahl von Schachteln. Abge­

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