Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

KANN, Robert A.: Joseph Maria Baernreithers und Graf Ottokar Czernins fragmentarische Darstellung der Sixtus-Affaire. Auf Grund der Aufzeichnungen und Dokumente im Baernreitherschen Nachlaß

J. M. Baemreithers und Graf O. Czernins Darstellung der Sixtus-Affaire 419 tik. Sie sind gegenüber den Ausführungen von Polzer und Werkmann als „audiatur et altera pars“, darum aber natürlich keineswegs als letztgültige Entscheidung zu werten. Bevor ich aber nunmehr auf die Beziehungen Baernreithers zu Czernin eingehe, welche der Erörterung seiner bzw. Czer­nins Auffassung der Sixtusaffäre vorangehen müssen, sei nur in einem wesentlichen Punkt einer persönlichen Auffassung Ausdruck gegeben. Wie kritisch immer man der kaiserlichen Politik und ihrer Durchführung in dieser und anderen Angelegenheiten gegenüberstehen mag, das große und edle Ziel, den Frieden herzustellen und das Reich zu erhalten, war zu bedeutsam, als daß man darüber mit billigen Schlagworten von Verrat, Treuebruch, schmählicher Täuschung und ähnlichen Phrasen hinweggehen könnte. B. Dr. Joseph Maria Baernreithers und Graf Czernins Beziehungen poli­tischer Natur gehen zumindest schon auf das Jahr 1906 zurück. Sie sind in politischer Hinsicht ebenso eng wie eigenartig, was aber darum keines­wegs mit herzlich und vertrauensvoll gleichzusetzen ist. Gemeinsame Interessen bestanden in der Tatsache, daß beide im Jahrzehnt vor dem Weltkrieg der deutschen Kurie des verfassungstreuen Großgrundbesitzes im böhmischen Landtag angehörten. Später wurde Czernin ein Kollege Baernreithers in der Verfassungspartei des Herrenhauses. Als letzterer Minister ohne Portefeuille im Ministerium Clam-Martinic 1916/17 war, bestand zweifellos auch ein amtlicher Kontakt zwischen beiden Staatsmän­nern. Doch beruhen ihre intimen Beziehungen keineswegs auf sozusagen offizieller Grundlage, sondern vor dem Krieg eher auf der Tatsache, daß Czernin als ein Hauptvertrauensmann des Thronfolgers Erzherzog Franz Ferdinand galt und in dessen politischem Interesse oder Auftrag vielfach mit maßgebenden Politikern in Verbindung trat. In der Regierungszeit Kaiser Karls war die verhältnismäßig enge Beziehung zwischen den beiden Politikern, die wechselseitig und mit Recht die Klugheit ihres Gesprächs­partners vielleicht mehr als dessen sonstige Charaktereigenschaften schätz­ten, auf die einmütige Bejahung eines gemäßigten deutschen, jedenfalls bündnistreuen Kurses abgestimmt. Czernin, der meines Wissens keine privaten Aufzeichnungen hinterlas­sen hat, erwähnt Baernreither in seinen Weltkriegserinnerungen nur ein einziges Mal in ganz beiläufiger Weise16), ein Umstand, der die Vor­geschichte ihrer Beziehungen nicht vermuten läßt17). In einem an den >6) Czernin, a. a. O., 313. 17) Siehe diesbezüglich den im Haus-, Hof- und Staatsarchiv erliegenden Nachlaß des Thronfolgers, Faszikel 12 u. 13, der Czernins an den Erzherzog gerichtete Briefe und Memoranda enthält. Siehe auch Nachlaß, Teil VII „Denk­schriften“. Siehe weiters R. A. Kann, Count Ottokar Czernin and Archduke Francis Ferdinand, Journal of Central European Affairs, Bd. XVI/II, Juli 1956, 117—45. Auf die Wertung von Baemreithers Charakter seitens Czernin 27*

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