Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
KANN, Robert A.: Joseph Maria Baernreithers und Graf Ottokar Czernins fragmentarische Darstellung der Sixtus-Affaire. Auf Grund der Aufzeichnungen und Dokumente im Baernreitherschen Nachlaß
Die dritte Hauptperson, Prinz Sixtus, hat durch den Historiker G. de Manteyer eine Darstellung der Affäre herausgeben lassen, die in der französischen Originalausgabe noch unter dem Namen von Sixtus von Bourbon erschienen ist, also wohl eindeutig seinen persönlichen Standpunkt vertritt. Diese Ausführungen stehen in den kritischen Hauptpunkten in einem viel direkteren Widerspruch zu Czernins Position als die später veröffentlichten Aufzeichnungen von Werkmann10). Besonders zu erwähnen sind ferner die Angaben zweier Episodisten: des Grafen Támas Erdödy, welcher Kurierdienste zwischen den Prinzen in der Schweiz und dem kaiserlichen Hof übernommen hat und der auch der Begleiter der Prinzen auf ihren geheimen Reisen nach Österreich war. Diese Darstellung, welche hinsichtlich der Kenntnis Czernins von Geheimverhandlungen mit dem Prinzen sozusagen offene Türen einrennt, unterstützt trotz klarer Absicht den kaiserlichen Standpunkt in keinem wesentlichen Punkt11). Viel wesentlicher ist die kurze, aber inhaltsreiche Darstellung des klugen Grafen August Demblin, des Vertreters des Außenministeriums im kaiserlichen Hauptquartier zur Zeit der Aprilkrise 1918. Demblin, ein Vertrauensmann Czernins, der aber nicht so sehr als Verteidiger der Czerninschen Politik als vielmehr von dessen persönlicher Haltung und Loyalität auftritt, war während der kritischen Tage in ständigem dienstlichen Kontakt mit dem Minister, ist aber auch sonst in der Logik der Schlußfolgerungen seiner wenig bekannten Schrift jener der meisten anderen Gesamt- oder Teildarstellungen ziemlich weit überlegen. Auf Grund dieser nimmt er als erwiesen an, daß der Kaiser den so vielfach inkriminierten ersten Sixtusbrief ohne Kenntnis des Grafen Czernin geschrieben, daß Czernins Bündnistreue ohne jeden Zweifel feststand und, daß er vom Kaiser aus rein politischen Gründen eine ehrenwörtliche Erklärung abverlangen mußte, wonach ein Brief politischen Inhalts (vom März 1917 an den Prinzen Sixtus) gefälscht gewesen sei12). Die unangebrachte Schroffheit von Czernins Haltung gegenüber dem Kaiser leugnet selbst er nicht. In den entscheidenden Punkten im engeren Sinne wird aber Demblins Darstellung durch die Wiedergabe des Hughes Telegraphengespräches zwischen Kaiser und Czernin vom 9. April 1918 zwischen Bukarest und J. M. Baernreithers und Graf O. Czernins Darstellung der Sixtus-Affaire 417 >») Sixte de Bourbon, a. a. O., insbesonders 89 ff., 344 ff., im Englischen G. de Manteyer, Austria’s Peace Offer 1916—1917, London 1921, 77 ff., 283. Beide Ausgaben enthalten photographische Faksimile-Reproduktionen der am meisten umstrittenen Dokumente. 11) Paul Szemere und Erich Czech, Die Memoiren des Grafen Támas von Erdödy. Habsburgs Weg von Wilhelm zu Briand, Wien 1931, insbesondere 95 ff. 12) August Demblin, Czernin und die Sixtusaffäre, München 1920, 5—56 passim. Zur Charakterisierung Demblins, „ein Liebling des Czernin“, siehe J. Redlich, a. a. O., Bd. II, 228, 267 f. Mitteilungen, Band 16 27