Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

KANN, Robert A.: Joseph Maria Baernreithers und Graf Ottokar Czernins fragmentarische Darstellung der Sixtus-Affaire. Auf Grund der Aufzeichnungen und Dokumente im Baernreitherschen Nachlaß

414 Robert A. Kann geführt wurde. Wäre es nicht zu den Enthüllungen vom April 1918 gekom­men, bestünde kein Grund, die Wichtigkeit dieser Verhandlungen höher einzuschätzen, als die folgenden, mit vollem Wissen des Außenministeriums in der Schweiz durchgeführten, zwischen dem österreichischen Grafen Re- vertera und dem französischen Grafen Armand und jene zwischen dem südafrikanischen General Smuts und Lloyd George’s Sekretär Philip Kerr (später Marquess of Lothian) auf der alliierten Seite und dem früheren Botschafter am Hof von St. James, Graf Mensdorff-Pouilly. Die über die Tragik erfolgloser Friedensbemühungen noch hinaus­gehende verheerende Wirkung der Verhandlungen mit den bourbonischen Prinzen beruht auf der weitreichenden Wirkung der Aufdeckung ihres Inhalts, die in keinem Verhältnis zu den nicht allzu großen Aus­sichten der ursprünglichen Aktion stand. Wiederum können die Haupt­ereignisse als bekannt vorausgesetzt werden. Am 2. April 1918 erklärte Graf Czernin, nach seiner Rückkehr von den Verhandlungen über den Frieden mit der Ukraine in Brest Litowsk von einer Abordnung des Gemeinderates in Wien feierlich empfangen, in öffentlicher Rede, der französische Ministerpräsident Clémenceau hätte gegenüber dem österreichischen Außenminister seinen Wunsch erklärt, geheime Friedensverhandlungen mit der Monarchie einzuleiten. Dieser Bruch der bei geheimen Verhandlungen selbstverständlichen Diskretion, die Unrichtigkeit hinsichtlich der französischen Initiative in Bezug auf Sonderbesprechungen und der kritische Zeitpunkt der deutschen West­offensive führten zu einem scharfen Dementi Clémenceaus. Im Zuge des nun in voller Öffentlichkeit geführten französisch-österreichischen Presse­krieges veröffentlichte die französische Regierung am 12. April den ersten Sixtusbrief. Das Außenministerium, welches bis dahin auf Grund der nach Czernins Angaben ihm erteilten kaiserlichen Information die Existenz des Unheilsbriefes vom März 1917 in Abrede gestellt hatte, war nun gezwungen, zuzugeben, daß der Brief an sich echt und nur die auf Elsaß Lothringen bezügliche Bemerkung verfälscht sei3). Der Konflikt endete formell mit der Demission Czernins am 14. April 1918, seine Weiterungen begannen aber eigentlich erst dann voll in Er­scheinung zu treten. Hierbei ist die Wirkung auf das national gesinnte Deutschtum in Deutschland und Österreich von geringerer Bedeutung als jene auf die Regierungen der alliierten westlichen Hauptmächte. Diese wurden zumindest in der Absicht bestärkt, der Auflösung der Monarchie keinen Widerstand mehr entgegensetzen zu wollen, wenn nicht sogar die Losreißungsbemühungen der von Exilsbewegungen gelenkten nationalen 3) Die Auseinandersetzung zwischen der französischen Agence Havas und dem Pressedienst des k. u. k. Außenministeriums ist in Graf August Demblin, Czernin und die Staatsaffäre, München 1920, 59—77, im Wortlaut wieder­gegeben.

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