Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
PÁSZTOR, Lajos: Die ungarischen Katholiken und der Erste Weltkrieg
Die ungarischen Katholiken und der Erste Weltkrieg 403 Heiligen Stuhles 35) durchaus nicht für unausführbar an und deshalb wollte er auch, daß dem Papst die Unabhängigkeit von allen Mächten sichergestellt werde; er bedauerte die Unerträglichkeit des Zustandes, der durch die Nichtlösung der Römischen Frage entstanden war. Er betrachtete Benedikt XV. als den Papst, der den großen, christlich-sozialen Gedanken Leos XIII. zur Erfüllung bringen würde. Wie Leo XIII. die verschiedenen Schichten der nationalen Gesellschaft mit christlichem Geiste durchdrungen hatte mittels seiner großen Enzykliken über die Arbeiterfrage, so wollte Benedikt XV. denselben Geist den gegenseitigen Beziehungen der verschiedenen Nationen einflößen 30 37). Die Vorschläge der päpstlichen Note, welche am 1. August 1917 an die kriegführenden Völker gerichtet war, bejahte er vollständig und befaßte sich mit ihnen selbst im Parlament. Es erfüllte ihn besonders der päpstliche Vorschlag mit Begeisterung, die Armeen durch die Institution eines internationalen Schiedsgerichtes zu ersetzen, die er selbst schon seit Jahren forderte und die, wie gesagt, einen der wichtigsten Punkte des Programmes seiner Partei bildete. Er anerkannte die Definition des Krieges als „universale Tollheit“ und teilte die Auffassung, daß der Krieg als Mittel zur Beilegung der Gegensätze zwischen den Völkern bereits überholt sei; er sprach die Überzeugung aus, daß die vom Papste in der Note ausgedrückten Ideen ein Teil des Völkerrechtes hätten werden sollen 3ir). Eine besondere Stellung nahm im Gedankengang Giessweins auch die soziale Frage ein. In seiner Rede an das Parlament am 12. Sept. 1917 begrüßte er als einen positiven Wert des Krieges die Tatsache, daß er die von der Front zurückgekehrten Soldaten verändert finde, ihm näher stehend, christlicher, was ihre sozialen Gefühle anbelangt38). Er war davon überzeugt, daß, um den Krieg auszuschalten und die internationale Versöhnung zu fördern, das Hauptgewicht auf die Ordnung der sozialen Fragen innerhalb der verschiedenen Staaten gelegt werden sollte. Er glaubte fest, daß nicht die Waffen, sondern der Fortschritt in der Demokratie und in den Einrichtungen des Staates, die richtige Sozialpolitik, welche den Forderungen der Zeit angepaßt und von christlichen Grundsätzen eingeflößt war, allein den Frieden und die brüderliche Einigkeit unter allen Völkern auslösen könnten. Dies sowohl auf nationalem Gebiet, d. h. in Ungarn, als auch auf internationaler Ebene 39). 35) S. Giesswein, Az Egyház egysége, usw., S. 97—99. 3e) S. Giesswein, Az Egyház békeakciója (Die Friedensaktion der Kirche), in „E. K.“, 1917, S. 383—386. 37) Siehe die Rede, welche Giesswein in dem Abgeordnetenhaus am 23. Oktober 1917 hielt, in K. N., Bd. XXXVII, S. 145. Vgl. auch seine Reden vom 12. September 1917 und vom 20. Jänner 1918, ebenda S. 34, und Bd. XXXIX, S. 489; S. Giesswein, A pacifista pápa (Der Friedenspapst), in „Igaz Szó“, 26. August 1917, S. 1; ders., Az Egyház békeakciója, a. a. O. 38) K. N., Bd. XXXVII, S. 38. 39) Siehe unter vielen andern seine Reden, die er in dem Abgeordnetenhaus während der Jahre 1916—1917 gehalten hat, in K. N., Bd. XXXIII, S. 72—73, 26*