Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

PÁSZTOR, Lajos: Die ungarischen Katholiken und der Erste Weltkrieg

404 Lajos Pásztor Während der langen Kriegsjahre erfolgte aber in Giesswein ein Gesin­nungswandel. Obgleich ein entschiedener Verteidiger des Friedens, hatte er doch, wie wir bereits gesehen, am Anfänge des Konfliktes die Beteiligung der Ungarn daran gutgeheißen, weil auch er der Meinung war, es handle sich um einen gerechten Krieg. Am Ende der vier Jahre zeigte er sich nicht nur friedvoll, sondern als erklärter Pazifist, d. h. er verwarf sogar die Idee eines gerechten Krieges und wollte die Waffen nicht einmal mehr zur Verteidigung verletzter Rechte ergreifen. Er sah tatsächlich voraus, daß die an Ungarn grenzenden Staaten nach dem Krieg territoriale An­sprüche gegen sein Vaterland erheben würden; aber, obwohl er sie für ungerecht hielt, wollte er sie nicht mit Gewalt bekämpfen. „Wir werden nicht zu den Waffen greifen“, schrieb er, „denn, wenn wir es vorher nicht wußten, so hat es uns dieser Krieg gezeigt, daß man mit den Waffen sein Recht nicht erlangen kann“ 40). Die Nationen sollten nie mehr miteinander kämpfen, auch deswegen, weil keine von ihnen isoliert leben kann; jede braucht die andern. „Die wirtschaftliche und soziale Entwicklung verlangt nicht nur die Verwirklichung der Vereinigten Staaten von Europa, sondern auch der Vereinigten Staaten der freien Völker der ganzen Welt. In diesem Gemein­wesen wird jede Nation ihr eigenes Kulturleben führen können und wird entsprechend dem Grad ihrer kulturellen Reife geachtet sein, die sie durch ihre eigene Arbeit erreicht. Keine Vorherrschaft irgend eines Volkes, so groß und mächtig es auch sei, wird in dieser Völkergemeinschaft be­stehen“ 41 * * 44). Einen ganz besonderen Hinweis verdient auch die Stellungnahme zum Problem des Weltkrieges von Seiten einer der hervorragendsten Personen des kirchlichen ungarischen Lebens in den ersten Jahrzehnten des XX. Jahr­hunderts und zwar des Bischofs von Székesfehérvár, Ottokar Prohászka. 458—459; Bd. XXXIV, S. 19—23; Bd. XXXV, S. 49—55, Bd. XXXVI, S. 38—39; Bd. XXXVII, S. 32—34, 144—148. Vgl. auch S. Giesswein, Egyesüljetek a Krisztus zászlaja alatt (Vereinigt euch unter dem Banner Christi), in „E. K.“, 1917, S. 325—326; Ders., Uj idők küszöbén, a. a. O., S. 873—874. 40) „. . . Das Blut wurde nicht vergossen, damit man unter einer neuen Maske die Welt der gewalttätigen Eroberungen wieder herstelle und auch nicht, damit man im nationalistischen Imperialismus die Hauptspieler aus­wechsle. Es muß eine neue Ordnung in der Welt beginnen, eine Ordnung, ge­gründet auf Brüderlichkeit und Gleichheit der Nationen. Die große französische Revolution führte zur Brüderlichkeit und Gleichheit innerhalb der Staatsgrenzen. Die Revolution, die aus diesem Krieg hervorgeht, muß internationale Brüder­lichkeit und Gleichheit bringen. Vgl. S. Giesswein, Uj idők küszöbén, a. a. O., S. 873. 44) Ebenda, S. 875. Der Horizont Giessweins beschränkte sich nicht nur auf katholisches Gebiet. So kannte er nicht bloß die Werke des Protestanten F. W. Förster, welche auf die Förderung des Friedens und der Zusammenarbeit aller Nationen hinzielten, sondern er war auch einer der glühendsten ungarischen Verehrer desselben. Vgl. ebenda, S. 869—871. Was die Einschätzung der Förster- schen Idee von seiten der ungarischen Katholiken betrifft, siehe auch „K. Sz“, 1916, S. 8; ebenda, 1917, S. 277.

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