Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

MEZLER-ANDELBERG, Helmut J.: Österreichs „Schwarze Legende“. Zur Kritik an der Habsburgermonarchie durch österreichische Zeitgenossen Erzherzog Johanns

Österreichs „Schwarze Legende' 225 seinen Zeitgenossen in Österreich nicht allein. Ganz scharf kommt dieser Aspekt in der zu Hamburg erschienenen Schrift des aus Görz stammenden Victor Freiherrn von Andrian-Werburg (1813—1858) „Österreich und seine Zukunft“ zum Ausdruck. „Österreich ist ein rein imaginärer Name, wel­cher kein in sich abgeschlossenes Volk, kein Land, keine Nation bedeutet, eine konventionelle Benennung für einen Komplex von unter sich scharf abgesonderten Nationalitäten. Es gibt Italiener, Deutsche, Slawen, Ungarn, welche zusammen den österreichischen Kaiserstaat konstituieren, aber ein Österreich, Österreicher, eine österreichische Nationalität gibt es nicht und hat es nicht gegeben, wenn man eine Spanne Land um Wien herum ausnimmt“ 24 *). Man sieht, der Zweifel an der realen Existenz Österreichs als eigener, einheitlicher Staat — bis zu einem gewissen Grade sicher nicht ohne Berechtigung — die Negation des Einheitsgedankens und des Vorhandenseins wie der Möglichkeit einer österreichischen Nation, sind nicht erst Früchte des späteren Deutschnationalismus, sondern in scharf prononzierter Form bereits weit vor Schönerer und seinen Gesinnungs­genossen vorhanden. Und Andrian fährt fort: „Ein Nationalgefühl, Natio­nalstolz, ein kräftiges, erhebendes Bewußtsein der eigenen Stärke ist daher dem Österreicher als solchem fremd und muß es sein, denn er betrachtet und fühlt sich als isoliert, außer aller geistigen und sympathetischen Ge­meinschaft mit seinen Mitbürgern eines fremden Stammes, die er als seine Landsleute nicht anerkennen will und kann, und sein engherziger Patriotis­mus umfaßt nicht mehr als sein Dorf oder höchstens seine Provinz“. Andrian war im Grunde Konservativer, der eine Staatsform etwa im Sinne des englischen Konstitutionalismus anstrebte. Sein genanntes Buch, die wohl bedeutendste und fundierteste politisch-publizistische Leistung des Vormärz, erregte ungeheures Aufsehen und erlangte trotz aller Gegen­maßnahmen der Regierung weiteste Verbreitung. In seiner einseitig über­treibenden Kritik vermißt Andrian nicht nur einen über den engen Hori­zont des Kirchturms oder Landes hinausreichenden Patriotismus, sondern auch „Jahrhunderte lange Eintracht und Größe“, wie denn die österreichi­sche Geschichte „überhaupt klein und arm an Tatsachen sei“. Diese Urteile, sozusagen am Vorabend der die Grundfesten des Reiches erschütternden Revolution von 1848 ausgesprochen, sind erschreckend in ihrer oberfläch­lichen Ahistorizität, aber bezeichnend als Symptom einer weitverbreiteten Geisteshaltung, die viele der Schwierigkeiten, mit denen der Kaiserstaat zu ringen hatte, erklärlich macht. Die neuere Staatsentwicklung hatte zugun­sten der Bürokratie den feudalen, politisch und sozial selbst verantwort­lichen Adel aus seiner einstmals führenden Stellung gedrängt. Andrian erscheint als Wortführer eines zwar liberal gefärbten, aber doch konser­vativen Protestes dagegen. Auf den Adel als vorwiegend genossenschaft­24) V. Frhr. v. Andrian-Werburg: Österreich und seine Zukunft. Hamburg 1841, 2./3. Aufl. Hamburg 1843, S. 6 f. Mitteilungen, Band 16 15

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