Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

SUTTER, Berthold: Erzherzog Johanns Kritik an Österreich

210 BerthoM Sutter desländer dann 1848 zu den radikalsten gehören. Der verhängnisvolle Still­stand des öffentlichen Lebens, die unüberwindliche Tatenscheu des Fürsten Metternich, der „schwer an der Sorge um die Zukunft des Reiches getragen hat“, dem aber „Civilcourage“ mangelte, und das „verkrampfte Festhalten“ am Althergebrachten, das jede, selbst die noch so dringlichste Reform ver­hinderte * 79), das sind jene Fakten, die, wie Friedrich Walter, wohl der beste Kenner der österreichischen Zentralverwaltung, aufgezeigt hat80), das damalige österreichische System bestimmten und die Österreich so sehr in Verruf gebracht haben, zumal die erwachenden österreichischen Natio­nalitäten in ihrer Entfaltung gehemmt, ihre Kräfte nicht für den Staat einsetzten und auch nicht für den Staat gewonnen und genutzt wurden und sich so jene von Anfang an gegen diesen feindlich stellten. Im Jahre 1831 schrieb Erzherzog Johann zwei beachtenswerte Sätze in sein Tagebuch81): „Es beginnt eine schwere Prüfungszeit. Die Wahr­heit lodert auf, verläugnen darf sie nicht der Christ und Biedermann“ — vorgegangen würde, es nicht benötigten, machen alles Mögliche, um das Grelle des Benehmens dieses Fürsten gegen jenes in Italien oder gar im treuen Tirol zu zeigen. So wird es heißen, jener König ist der Einzige, der seinen Unter­tanen für ihre geleisteten Aufopferungen Wort halte, während die Anderen das Gegentheil thun! Wir versagen namentlich in Tirol. Provisorien, Beseiti­gung der Treuen, Verwendung jener, die nicht oder dagegen gehandelt. Kein Ernst, ihnen ihre Verfassung zu geben, Neckereien, Druck, Langsamkeit in Allem. Ein ärgerer Zustand wie unter Bayern.“ Am 18. März 1817 war Erz­herzog Johann beim Kaiser. „Sagte ihm, daß die Württemberger Verfassung eine Brandkugel sey, die über Deutschland geworfen wurde. Der sardische Hof, die Stimmung Italiens auf der anderen Seite, das machet wohl um so nötiger, daß die österreichischen Länder zusammen verbunden sind.“ 79) F. Walter: Metternich und Gervay. Ein Briefwechsel. Mitt. Österr. Staatsarchiv 9, 1956, S. 191. Metternich „kannte ja genau die wunden Stellen am Körper der Monarchie, wußte um die schweren Gefahren, die ihre Zu­kunft umdüsterten, er hatte auch oft genug die rechten Mittel an der Hand, dem Unheil zu steuern, nur — und hier liegt seine unabdingbare tragische Schuld — zur Tat reichte die Kraft nicht mehr.“ 80) F. Walter: Die österreichische Zentralverwaltung. II. Abt., 1. Bd., 2. Halbbd., Teil 2 (Veröffentl. Kommission f. Neuere Geschichte Österreichs 35, Wien 1956), S. 350 f. Mit Recht spricht hier F. Walter von einer „Schuld“ Metternichs: „Metternich und Kolowrat trifft aber auch die volle Last der Verantwortung für den verhängnisvollen Stillstand des öffentlichen Lebens. Denn ihre unüberwindliche Tatenscheu — nach 1835 stand ihnen kein starker Wille mehr entgegen — und ihr verkrampftes Festhalten am Hergebrachten hat jede Reform verhindert. Und Metternichs Schuld wiegt noch schwerer als die Kolowrats, denn der Staatskanzler war mit seinen außerordentlichen Fähig­keiten der Enge und Beschränktheit Kolowrats, dessen Macht vorweg auf einer ungewöhnlichen Beherrschung des ,Apparates“ beruhte (die Metternich fehlte), turmhoch überlegen . . . Metternich selbst bezeichnet es immer wieder als das Grundübel, an dem die Monarchie leide, daß sie ,nicht regiert, sondern bloß administriert“ werde, aber er hat nichts getan, um dieses .Gebrechen’ zu be­heben.“ 81) Tagebuch vom 30. Dezember und 31. Oktober 1831.

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