Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
SUTTER, Berthold: Erzherzog Johanns Kritik an Österreich
188 Berthold Sutter aber er ist nicht gesonnen, dies einfach als eine Schicksalsfügung hinzunehmen. Im Jänner des unheilvoll heraufsteigenden Revolutionsjahres 1848 ist der Erzherzog wieder in Wien. Er verhandelt am 11. Jänner stundenlang mit dem Fürsten Metternich — „er ist neben Kübeck der Einzige, welcher von der Lage, in welcher wir uns befinden, durchdrungen ist“ —, und am Tage hernach mit dem Grafen Kolowrat. „Er sieht alles ein, aber ich verließ das Zimmer mit dem schmerzlichen Gefühl, daß zu energischen Maßregeln da keine Hoffnung ist und er die Sache so behandelt, wie ein anderes Geschäft.“ Erzherzog Johann aber will kämpfen, wach rütteln und im letzten Augenblick noch die notwendigen Reformen durchführen, er will noch im Feber 1848 durch ein Gesetz die Errichtung verantwortlicher, freier Gemeinden erreichen und das Steuer noch vor dem Sturm herumreißen. In diesem Punkte wurzelt er noch ganz in der alten Tradition des Hauses, er ist noch erfüllt vom Geiste der drei Ferdinande, er glaubt noch an das perpetuierliche Mirakel des Hauses Österreich, das zur selben Zeit Joseph Freiherr von Hormayr boshaft ins Ironische verkehrt. Die alte Meinung vom Mirakel Österreich, dem österreichischen Wunder 47) ist in Erzherzog Johann unmittelbar lebendig und darin gleicht er so viel mehr seinen Vorfahren als seinem Großneffen Kaiser Franz Joseph I., der das schwere Wort aussprach, er wisse, daß sein Reich zu Grunde gehen werde. Die düsteren Vorahnungen Erzherzog Johanns leiten fast immer in einen Aufruf zur Tätigkeit, in einen Aufruf, das Schicksal aus eigener Kraft zu meistern, über. So schrieb er im Anschluß an die Verhandlungen des jungen Erzherzog Palatins mit Kolowrat und dem Fürsten Metternich 1847 in sein Tagebuch: „Stephan sprach ebenso gegen Franz. Dieser sagte ihm, wenn er zur Regierung käme, würde er ihn nach Wien ziehen für die inneren Geschäfte und Albert das Militär übergeben. Das heißt zwey Leute haben, die für ihn arbeiten. Stephan erwiderte sehr richtig, der Monarch müsse selbst handeln, sonst wirke es nicht, überdies sey es noch sehr ungewiß, wenn die Sachen fortgingen, ob er zur Regierung kommen würde. Das sind Aspecten! Wie beschränket die Ansichten, welche Unwissenheit über Menschen und Verhältnisse, welche Trägheit, welche Zukunft! Mir grauet es, Metternich am Rande vom Grab und izt mehr in Verlegenheit als jemals, um der Zeit, die immer bewegter wird, zu begegnen. Kolowrat auch alt und so schwer aus dem bisherigen Gang reissend ... Die Finanzen schwankend, die Partheyen envachend, die Nachbarschaft in Gährung und keine Hand, die alles zusammenhält und leitet, so muß es in die Brüche gehen, so der schon aus so verschiedenen Nationen bestehende Körper aus- * 4 ihn fähig machen, seiner Zeit im Centro persönliche Dienste zu leisten, wenn bis dahin Österreich sich hält und nicht zerfallen ist.“ 4~) Vgl. H. v. Srbik: Österreichs Schicksal im Spiegel des geflügelten Wortes. MIÖG 42, 1927, S. 268—293.