Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
SUTTER, Berthold: Erzherzog Johanns Kritik an Österreich
Erzherzog Johanns Kritik an Österreich 185 die Revolution bewirkten, sich hineinwarfen, fielen oder eine Rolle spielten? Wächst nicht von Tag zu Tag ihre Zahl immer mehr an, immer mehr fordernd! Dies überleget niemand. Es wäre noch gar so Vieles über die Zeichen der Zeit und die düsteren Vorbothen der Zukunft zu sagen; aber man erscheinet als ein Geisterseher — und wird ausgelacht. Ich fürchte sehr, mein guter Herr und Kaiser wurde für sein edles Streben von Gott genommen, um Ihm viel Herzeleid zu ersparen Die hier gebotenen Zitate aus den Jahren vor 1847 ließen sich beliebig vermehren. „Wien, Wien Du Grab des Einfachen, Billigen, Du Hemmschuh so viel Guten“, ruft er am 30. Juli 1839 während seiner Besichtigungsreise durch Tirol aus und es gibt zahlreiche Stellen, in denen der Erzherzog klagt, daß man in Wien stets in Täuschungen lebe, daß keine Zentralkraft leitend wirke, jeder dreinpfuschet und fischet, daß — und dies ist besonders wichtig — die Staatskonferenz, in der Metternich weitläufige Beden führe41), die entscheidenden Geschäfte nicht ernst nehme und nicht im Mündlichen verhandelt und „freymüthig“ erörtert42), daß man das Volk nicht begreife und verstehe43), dass man Metternich vorwerfe, dass er „alles wisse, wie es zuginge, alles aber gerade seyn lasse im Glauben, er könne es dann, wenn es am schlimmsten sey, am leichtesten leiten.“ Am Sylvestertag des Jahres 1844 fordert Erzherzog Johann von sich selbst Rechenschaft, warum er nach Wien gekommen sei. Er zählt eine Reihe von privaten und dienstlichen Gründen an und fügt diesen hinzu: „Endlich überall unumwunden die Wahrheit über alles zu sprechen, Täuschungen zu bekämpfen und zu zeigen das Verderben unseres Beamtemvesens, unserer Bureaucratie, unseres langsamen Geschäftsganges, das zunehmende Verderben unseres Volkes durch die be41) So heißt es im Zusammenhang mit der Frage der Ernennung seines Neffen, Erzherzogs Stephan, zum Palatin von Ungarn am 25. Jänner 1847 in seinem Tagebuch: „Das Resultat ist wie leicht man die Sache nimmt, wie man trachtet Schwierigkeiten zu entfernen, nicht zu besiegen, wie man die Zeit und die Menschen nicht begreifet und verstehet, und mit der Zeit nicht hauszuhalten verstehet, wie keine Centralkraft leitend wirket, wie jeder dreinpfuschet und fischet, dabey Neid, Mißtrauen sein Spiel treibet. Würden die wichtigeren Geschäfte im Mündlichen verhandelt und freymüthig erörtert, es stünde mit Österreich anders.“ 42) Ähnlich das Urteil bei J. Frh. v. Hammer-Purgstall: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774—1852. FRA 70, Wien 1940, S. 327: „Metternich kommt zu nichts, weil er zu viel spricht und Erzherzog Ludwig traut sich nicht, dieses Geschwätz zu unterbrechen.“ 43) Wenige Wochen zuvor, am 17. November 1844, rechtfertigt sich Erzherzog Johann: „... es mögen meine Worte manchmal scharf klingen, allein ich muß die Wahrheit sprechen und aus dem behaglichen Schlafe aufrütteln. Welche Zukunft! da alles sich so auflöset; und wie wird das Erwachen seyn jener, welche im Schlafe fortleben?“