Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)

SUTTER, Berthold: Erzherzog Johanns Kritik an Österreich

Erzherzog Johanns Kritik an Österreich 183 das wollte er am allerwenigsten sein88). Er wollte über den Dingen ste­hen. Er wollte sich in keiner Weise binden oder verbrauchen, denn er war zu tiefst von der Vorstellung durchdrungen, daß seine Zeit, „so wie die Sachen izt gehen“, kommen müsse. Diese Überzeugung reicht weit zurück. So bekennt er am 20. Jänner 1824: „Ich danke meinem Gott, daß mein Kaiser mich als einen betrachtet, den er für einen verzweifelten Fall auf­hebet.“ Am 7. Dezember des gleichen Jahres schrieb er in sein Tagebuch, große Stellen werde er nie bekommen „und wenn ich je sollte wieder wir­ken, so wird es nur in Tagen großer Not werden, wo es eines Menschen von Herz, Verstand und Treue bedarf, auf den man zählen kann, um zu­sammen zu halten. Davor beivahre uns Gott!“ Nach seines kaiserlichen Bruders Tod mehren sich diese Stellen und am 9. Jänner 1836 schreibt er: „Es ist nicht Trägheit, ivas mich bewegt, jetzt es nicht zu wünschen, aber die Überzeugung ... daß meine Zeit noch nicht gekommen, wo ich im Centro nützen kann. Gott gebe, daß sie nie komme.“ So hält sich Erzherzog Johann aus dem unmittelbaren Kräftespiel am Hofe seines regierungsunfähigen Neffen Ferdinand heraus, aber umso kritischer sieht er und beurteilt er die Lage des Reiches 38 39) : „Bey uns alles so langsam, so daß wir stets den Moment versäu­men, überall zu spät kommen, überall beseitiget werden. Wir setzen blos auf Gespenster und versäumen das Wichtigste.“ Das Hauptübel erkennt der Erzherzog unveränderlich auch jetzt in der österreichischen Verwaltung. Damit man wisse, wie er über sie denke, schreibt er am 6. November 1839 in sein Tagebuch: „Sie geht wie ein altes Saumroß im Gleichtakt fort, man lebt als stünde der ewige Frieden bevor. Doctrinärs genug, Langsamkeit im Überfluße, alles in einem ge­mächlichen Schlafe eingewieget, indess tauchen doch allenthalben Zeichen empor, die denken machen sollten.“ Am 15. Jänner 1835 warnte Erzherzog Johann den Grafen Kolowrat und mahnte ihn, die Staatskonferenz ernster zu nehmen, denn „da wird gewöhnlich geplaudert, Geschichten erzählet, dann zuletzt die Sachen geschwind abgethan“ und am 29. Februar 1844 setzte er seinem Neffen Erzherzog Franz, als dem Kronprinzen, den er „arbeitsscheu“ nennt, eindringlich auseinander, „es wäre das Ganze schlechter als eine Anarchie, bey dieser 'wäre doch eine rohe Kraft zum Dreinschlagen, bey uns gar nichts. Wohin müße es kommen auf diesem Wege, er sey doch unser Kronprinz, dauere es noch so lange, so müßten die Verhältnisse so icerden, daß er es gar nicht mehr in Ordnung zu brin­gen im Stande seyn würde“ 40). 38) Tagebuch vom 14. Jänner 1836: „Weg von Wien, sage ich noch einmal, da ist das Grab freysinniger Gesinnungen, so wie sie izt redlich und frey jeder Intrigue seyn müssen.“ 89) Tagebucheintragung vom 31. Jänner 1836. 40) Ähnlich am 25. März 1844: „Ich kann nur Metternichs Ansichten bey- pflichten und muß bedauern, daß, nachdem wir keinen Herrn haben, sondern

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