Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
SUTTER, Berthold: Erzherzog Johanns Kritik an Österreich
Erzherzog Johanns Kritik an Österreich 171 die Dynastie ihrem Sturze nahe, das Kriegsheer ist auf nichts ge• bracht, der Geist verloschen, die Finanzen sind in der größten Zerrüttung, die innere Venvaltung schwach, unordentlich, überall herrscht Missmut, Misstrauen in die Staatsmaßregeln, Unzufriedenheit, Not, nichts wird gemacht, und auf keinen Massregeln beharret. Die Leute an der Spitze entweder voll Eigendünkel und leichtsinnig und unwissend oder schwach, oder neu, oder Egoisten und folglich boshaft oder gleichgültig. Die Abnahme der Moralität, die Venalität, die Trägheit, Neid und Eifersucht herrschen izt. Der Herr an der Spitze hat alles an sich gezogen. Eifersüchtig auf seine Gewalt läßt er niemanden die Einsicht, alles bleibt liegen, kein Entschluß, voll Widersprüche. Er selbst siehet oder will die Lage nicht einsehen, und führt so seinen Staat unwiderbringlich dem Verderben zu.“ Die in der Steiermark oft zitierte Präambel zu den von Erzherzog Johann ein Jahr später niedergeschriebenen Statuten des Joanneums sind in diesem Zusammenhang zu sehen13). Es sind dies nicht nur allgemeine, auch heute noch gültige Sentenzen, wenn er auf einen Strom hinweist, der „nur in fortgehender Bewegung herrlich“ ist, der Eis oder Sumpf wird, wenn er steht. „Stäte Entwicklung, unaufhörliches Fortschreiten ist“ — nach Erzherzog Johann — „das Ziel des Einzelnen, jedes Staaten-V er eines, der Menschheit. Stille stehen und Zurückbleiben“ ist für ihn „einerley“. Was hier Erzherzog Johann, bedingt durch die Verhältnisse seiner eigenen untätigen und unentschlossenen Zeit, aussprach, war gleichsam das ABC seiner politischen Staatslehre. Der Staatsmann hat — nach Erzherzog Johann — den Zeitgeist zu erkennen und, da gegen diesen zu kämpfen sinnlos ist, sich durch Reformen den Gegebenheiten anzupassen. So heißt es 1810 in seinem Tagebuch: „ ... die innere Verfassung ... bedarf einer vollkommenen Regeneration. Gott weiß es, ob ich meinen Fürsten, mein Vaterland, die Ehre meines Hauses liebe und ob das Andenken so braver Voreltern mir theuer ist; allein eben aus diesen Ursachen ist unser Ganzes schon für itzige Zeiten zu sehr veraltert. Wir kämpfen gegen den Zeitgeist und haben keine Kraft dazu, diesem zu widerstreben ... Das ewige Gesetz, welches den Zeitgeist leitet und ihn fortschreiten macht, läßt sich nicht hemmen. Und versucht man es ... zuletzt alles ins Stocken kömmt und die Maschine stehen bleibt. So ist es mit Österreich, reif ist es zu Reformen, der Stoff gut, folglich ohne Erschütterungen zu machen; allein man tut es nicht, man will es nicht; es muß, und dieses bald, fallen. Erkenntnis des Übels ist der erste Schritt zur Besserung, Wille dann zur Besserung der zweite, Beharrlichkeit der dritte ... und zum dritten fehlt die Kraft.“ 1 1S) Abgedruckt bei G. Göth: Das Joaneum in Gratz. Graz 1861, S. 255 bis 262.