Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 16. (1963)
KÁLLAY, István: Einige Fragen der Stadtpolitik des Wiener Hofes in Ungarn zur Zeit Maria Theresias
160 István Kállay liehe Zwecke keinen Wein, verhindere den Ausschank des Weines der Bürger. Die Stadtkasse habe Forderungen bei der Mühle; einige Ratsherren wären aber an ihr interessiert und berichteten deswegen der Hofkammer die Rückstände nicht. Die Ratsherren nahmen von den bei ihren Verwandten ausstehenden Stadtgeldern keine Zinsen, verteilten die Gerichtstaxen und Strafgelder unter sich. Sie verliehen gratis Stadtgrundstücke, minderten willkürlich ihre eigene Contribution; statt 30, 40, 50 Gulden zahlten sie nur 3, 4, 5 Gulden. Den Unterschied müßten die armen Bürger bezahlen, — sagten die Poseganer Bürger 32). Am meisten charakteristisch ist die Eingabe der Bürger von Segedin, die, „auf das Gebot unserer allerhöchsten Frau“ sich berufend, ihre Gravamina vortragen: die Stadtprivilegien wären ihnen unbekannt, sie zahlten Jahr für Jahr mehr Contribution, dessen ungeachtet, daß diese der Stadt seit dem letzten Landtag nicht erhöht wurde. Die Ratsherren führten von den Rückständen kein Verzeichnis, die Strafgelder würden unter die Ratsherren repartiert und in den an die höheren Behörden weitergeleiteten Tabellae Malefactorum33) werde statt Geld nur Prügelstrafe angegeben (z. B. 80 Stockschläge gelten für 80 Gulden). Die Ratsherren besäßen den größeren Teil des Rohrgebüsches der Stadt zum großen Schaden der armen Bürger. Sie ließen das Rohr durch ärmere Leute schneiden, so kämen sie „durch die Kraft und Belastung der Armen umsonst zum Rohr“. Die Ratsherren weideten ihre Ochsen und Kühe zum Schaden der Gemeinde auf den besten Feldern der Stadt, beschäftigten sich überwiegend mit ihrer Privatwirtschaft und ihrem Handel; sie übten ihr Ratsherrenamt nur nebenberuflich aus. Die Bittschrift der Bürger von Segedin führt weiter an, daß die Senatores sie bedrohten, wenn sie ihre Klagen einreichen34). Die Beschwerden der Bürger fanden am Wiener Hof fast immer ein williges Ohr, weil sie gegen die Patrizier — die dem Wiener Hof die Pläne zur Verbesserung der Stadtverwaltung durchkreuzten — gerichtet waren. Fast jeder der oben erwähnten Fälle wurde durch königliche Kommissäre und Kommissionen an Ort und Stelle untersucht. Es kam öfters vor, daß die in die Städte ausgesandten königlichen Kommissäre oder Kommissionen von den Bürgern mit Beschwerden überhäuft wurden. Joseph Vécsey, der als königlicher Kommissar längere Zeit in Debrezin weilte, übergaben die Bürger einen Band voller Klagen. Ein Teil von diesen betraf die ungerechte Gerichtsbarkeit, die Mißbräuche der Ratsherren, Beschwerden über die Contribution. Einen Teil machten die 32) Ebendort Fasz. 26. Rote Nr. 516. Subd. 3. 82/1773. März, fol. 65 f. 33) Die Tabellae Malefactorum wurden 1757 von der Statthalterei verordnet (Archiv der Stadt Stuhlweißenburg, Acta pol. et. jur. Fasz. 1757. Nr. 172/2). Die Tabellae Malefactorum waren ein Verzeichnis der von der Stadt verhafteten und in dem Stadtkerker gefangengehaltenen Verbrecher. 34) HKA Camerale Ungarn Fasz. 26. Rote Nr. 516. Subd. 3. 143/1773. Jun. fol. 193—208.