Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag

WOINOVICH, Maria: Philipp Freiherr von Krauß, Finanzminister im Jahr 1848

556 Maria Woinovich Verwirrung der Tagesereignisse. Daher sah sich Krauß gezwungen, in der Sitzung des Reichstages vom 12. Oktober den Antrag auf Benützung des Kredites der Nationalbank in der Höhe der bewilligten Summe von 20 Mil­lionen Gulden zu stellen und die Nationalbank zur Vermittlung für die Hin­ausgabe der verzinslichen Zentral-Kasse-Anweisung in Anspruch nehmen zu dürfen 42). Der Reichstag wollte zunächst die Hilfe durch die Nationalbank mit weiteren 6 Millionen Gulden begrenzen. Krauß blieb unerschütterlich: „Wenn eine hohe Kammer die Ordnung des Dienstes wünscht, so muß ich bitten, mich auch in die Lage zu versetzen, den Dienst fortführen zu kön­nen, im entgegengesetzten Falle müßte ein Anderer versuchen, ob es mög­lich ist, auf diese Art auszulangen“ 43). — Hierauf wurde der Antrag in der geforderten Höhe bewilligt44). So konnte die Zahlung der am 1. Novem­ber fälligen Summe von über 4 Millionen an Zinsen für die Staatsschulden erfolgen sowie die Gehalts- und Soldzahlungen45). Man vergegenwärtige sich den Zeitpunkt der zuletzt dargestellten Ver­handlungen! Krauß weilte als alleiniger Vertreter aller Ministerien in Wien. Zutreffend nennt ihn deshalb ein neuerer Autor „den Minister für alles“ 46). Nach der Ermordung des Kriegsministers Grafen Latour übernahm der Finanzminister die undankbare Rolle des Vermittlers zwischen dem kaiser­lichen Hoflager zu Olmütz und dem F. M. L. Fürsten Windischgrätz einer­seits, zwischen dem Reichstage und der Stadt Wien anderseits. Hierüber unterrichten insbesondere die Briefe des Baron Krauß an den in Olmütz weilenden Ministerpräsidenten Baron Wessenberg47). Krauß’ Bemühungen, die Kundmachung über den Belagerungszustand Wiens solange zu suspen­dieren, bis die im Aufträge des Reichsverwesers Erzherzog Johann nach Olmütz gesendeten Reichskommissäre in Wien eintreffen würden, fanden bei Fürst Windischgrätz kein Gehör48). So begab sich denn Krauß, durch ein Schreiben Wessenbergs vom 20. Oktober im allerhöchsten Aufträge be­rufen, am 26. Oktober selbst nach Olmütz, trotz der lebhaften Gegenvor­stellungen vieler Reichstagsdeputierter. Diese befürchteten den nachteiligen Eindruck einer Abreise des Ministers auf die Bevölkerung und sogar die Auflösung des Reichstages 49). Indessen hatte dieser am 25. Oktober den von Wessenberg gegengezeichneten kaiserlichen Erlaß vom 22. Oktober mit der 42) Verhandlungen des österreichischen Reichstages nach der stenographi­schen Aufnahme, Bd. 3, Wien (Stdr.), S. 109 ff. «) A. a. 0., S. 118. 44) A. a. O., S. 120. 45) Ebenda S. 118; vgl. hiezu: Hye, a. a. O., S. 32. 4«) Ehnl, Politische Ereignisse in Österreich im November und Dezember 1848, a. a. O., S. 299. 47) H. H. St. A„ Staats-Kanzlei, Interiora Korrespondenz 99; Finanzminister Freiherr von Krauß an Freiherrn von Wessenberg. 1848, 11. X. — 24. XII. 48) A. a. O., Krauß an Wessenberg am 22. Oktober. 49) A. a. O., Krauß an Wessenberg am 23. Oktober; vgl. hiezu: Verhandlun­gen des österreichischen Reichstages, Bd. 3, S. 345 ff.

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