Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag
WOINOVICH, Maria: Philipp Freiherr von Krauß, Finanzminister im Jahr 1848
Philipp Freiherr von Krauß 557 Einberufung nach Kremsier für den 15. November erhalten50). Es wurde die Abfassung einer an den Kaiser gerichteten Protestadresse und deren Überreichung durch eine nach Olmütz zu entsendende Deputation beschlossen. Gemeinsam mit dieser verließ auch der Finanzminister die Stadt, kehrte jedoch später als die Abgesandten des Reichstages, am Abend des 28. Oktober, zurück und konnte — noch meilenweit entfernt — den Feuerschein der Brände in Wien wahrnehmen. Nach seiner Rückkehr nahm Krauß noch teil an den „Annehmlichkeiten des Aufenthaltes in einer Stadt, die beschossen wird“ 51). Am 2. November war der Minister bereits von den Vorbereitungen für die Übertragung des Reichstages nach Kremsier in Anspruch genommen, aus welchem Anlaß er Ministerialrat Böhm vom Ministerium des Inneren und den Hofbaurat Sprenger nach Kremsier sandte52). Nach mühsamen Verhandlungen erfolgte am 21. November die Ernennung des Ministeriums Schwarzenberg53). Krauß war wieder Finanzminister. Am nächsten Tag, dem 22. November, fand die Eröffnung des Reichstages in Kremsier statt. In der Sitzung vom 4. Dezember 54) überreichte der Minister, durch die vorhergegangenen Ereignisse verzögert, den Staatsvoranschlag für das Jahr 1849. Zur Begründung wies Krauß darauf hin, die Monarchie führe nun einen Krieg nach zwei Fronten: gegen Italien und gegen Ungarn. Ein so großer innerer Kampf sei nicht vorauszusehen gewesen und daher ein Abgang von beinahe 50 Millionen Gulden vorhanden. Im Wege der ordentlichen Besteuerung könne die Aufbringung dieser namhaften Summe nicht erfolgen. Abgesehen von den Militärausgaben, erhöhten sich aber die Erfordernisse durch die Beschlüsse des Reichstages selbst, nämlich durch die gänzliche Umgestaltung der ersten Instanzen (sowohl des Gerichtswesens als auch der politischen Behörden) und durch die Aufhebung der Urbarial- und Zehentschuldigkeiten. Der Staatsschatz müsse auf jeden Fall Entschädigung leisten. Dann kündigte Krauß eine zeitgemäße Umgestaltung des Zollwesens an. Die vielen Einfuhrverbote gewährten nicht den Schutz, den man sich gewöhnlich von ihnen verspreche, sie seien aber ein Hindernis für höhere Einnahmen aus dem Zollgefälle. Die Einfuhrverbote sollten also allmählich aufgehoben werden. Besonders für die Stadt Wien, die dank ihrer Lage und als Eisenbahnknotenpunkt einer der ersten Handelsplätze Europas sein könnte, sei die geplante Reform von größter Bedeutung. Diesen Ausführungen folgten Anträge zur Steuerreform. Die Judensteuer erschien 50) Ebenda S. 351. 51) A. a. 0., Krauß an Wessenberg am 1. November 1848. 52) Ebenda, Krauß an Wessenberg am 2. November 1848. 5S) Josef Alexander Freiherr von Helfert, Geschichte Österreichs vom Ausgange des Wiener Oktober-Auf Standes 1848, Bd. 3. Die Thronbesteigung des Kaisers Franz Joseph I. Prag 1872. Anhang VI, S. 28, Schwarzenberg an Windisch- grätz, Briefe aus Olmütz vom 8. November 1848. 54) Verhandlungen des österreichischen Reichstages nach der stenographischen Aufnahme, Bd. 4, Wien (Stdr.), S. 64 ff.