Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag

WOHLGEMUTH-KOTASEK, Edith: Erzherzog Johann in seinen Briefen an Marie Louise

534 Edith Wohlgemuth-Kotasek Sein Familiensinn war so stark wie die immer wiederkehrende bestür- zende Erkenntnis seiner inneren Einsamkeit, die sich ihm ganz besonders dann aufdrängte, wenn er sich als Mitglied eines führenden europäischen Fürstengeschlechts mit wenig Neigung, aber mit umso größerem Pflicht­bewußtsein nach Wien, in das zwar „vielgeliebte Wien“ * 7) begab. Er nannte sich dann einen unverbesserlichen „Melancholicus“, den aber alle im Leben erfahrenen Enttäuschungen und Bedrängnisse nicht zerbrechen, sondern nur aufgeschlossen machen konnten für Sorgen und Kümmernisse seiner Mitmenschen. Darum hatte ihn auch dak Schicksal seiner Nichte besonders ergriffen, die der Politik geopfert worden war und die im Nach­hinein, als das französische Abenteuer überwunden war, sich nur zu gerne als Opfer betrachtete. Zartgefühl und Herzenstakt hatten es Johann ver­wehrt Marie Louisen gegenüber, während sie sich noch als Napoleons Frau bekannte, irgendwelche Anspielungen zu machen, die seiner unzweifelhaften Abneigung gegen diese Verbindung mit dem Feinde des Vaterlandes zum Ausdruck gebracht hätte. Er rang sich vielmehr, wie er es da sicher als seine Pflicht empfand, gelegentlich zu einigen höflichen Wendungen Napo­leon betreffend durch8) und verstand es zu schweigen, als sich das poli­tische Geschick des Korsen erfüllte. Er maßte sich in seinen Briefen an Marie Louise kein Urteil über ihre Haltung als Gattin des Gestürzten an und beschränkte sich darauf, sie viel mehr an ihrer Lage leidend als daran mitschuldig zu sehen, was seiner glühenden Vaterlandsliebe auch eher ent­sprach, da der Druck, der durch den Bestand eines bonapartistisehen Frank­reichs auf Europa lastete, endlich gewichen war9). Während Marie Louise unausgesetzt ihre gesamte Umwelt zur Anteil­nahme für die meist nur eingebildeten Schwankungen ihrer Gesundheit aufforderte, muß sie dem Onkel in ihren Briefen auch häufig von der Qual trüber Gedanken und Erinnerungen geschrieben haben, denn zahlreich sind die Stellen in seinen Briefen, wo er ihr Trost zuspricht und sie ermahnt, die Schwermut zu verbannen. „Aber was Sie selbst, liebe Nichte, betrifft, ihre melancolischen Ideen, wogegen ich als ein Hauptkenner und Practicus dieses Zustandes so sehr eifre, jagen Sie sich alle düsteren Gedanken aus dem Kopfe, ihnen Gehör geben, bessert und ändert nichts, vergällt nur das Leben, und warum soll milie Meran befindet, hat sich jedenfalls kein einziger mit Sicherheit Marie Louise zuzuschreibender Brief gefunden. Ich darf an dieser Stelle dem Herrn Präsidenten Dr. Franz Meran für die liebenswürdig erteilte Benützungsbewil­ligung dieses Archivs danken. 7) Nr. 31 vom 20. 2. 1821. s) Nr. 5 vom 12. 8. 1812 und Nr. 6 vom 1. 12. 1812. 9) In den von Franz R. v. Krones veröffentlichten Tagebuchteilen: Aus dem Tagebuch Erzherzog Johanns von Österreich 1810—1815, Innsbruck 1891, finden sich allerdings Eintragungen (S. 156 zum 20. 4. 1814 und S. 160 zum 23. 5. 1814), die Marie Louisens Gleichmut gegenüber ihren Pflichten als Gattin des von seinem Glück verlassenen Napoleon kritisieren.

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