Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag

WOHLGEMUTH-KOTASEK, Edith: Erzherzog Johann in seinen Briefen an Marie Louise

Erzherzog Johann in seinen Briefen an Marie Louise 533 gung mit Produkten seiner Feder abgeleitet werden mag, die für Johanns geschichtliche Stellung zwar kaum kennzeichnend sind und sich inhaltlich am Rande seiner Wirksamkeit als historische Erscheinung befinden, wohl aber um ein Mal mehr den liebenswerten Menschen, wie vieles andere auch, was schon veröffentlicht vorliegt, nahebringt. Und das kann ohne Demago­gie oder wie immer geartete Voreingenommenheit behauptet werden, daß dieser Prinz in dem beschränkten Bereich seiner Wirkungsmöglichkeiten einmalig erfüllt hat, was man vom Idealbild eines Landesvaters erwarten möchte — erfüllt hat aus- der Kraft seines gütigen und gerechten, allem Schönen und Edlen aufgeschlossenen, selbstlosen und einsatzbereiten, grundaufrichtigen Menschentums. Wie bewußt er um die Formung dieses Menschentums in sich immer bemüht war, läßt sich ohneweiters aus den hier zu behandelnden Briefen an die Nichte herauslesen. Er schreibt zwar nichts über diese Bemühungen an sich, aber sie offenbaren sich im einfachen Rückschluß aus der willkür­lich oder unwillkürlich zum Ausdruck gebrachten Lebenseinstellung. Das Gerade, das Einfache, das Bescheidene bestimmt sie und damit vielfach ein Gegensatz zu der Denkungsart des Gesellschaftskreises, der jeden, auch den Wiener Hof umdrängt hat, dessen Hauptrepräsentant, Kaiser Franz I. selbst, allerdings von sich und seiner Familie betont bürgerliche Schlicht­heit verlangte. Wie Johann in dem um vierzehn Jahre älteren kaiserlichen Bruder, der nach dem frühen Tod Kaiser Leopolds II. die Verantwortung für die Erziehung seiner Geschwister hatte übernehmen müssen, immer etwas wie einen Vater verehrte, stand ihm die nur um neun Jahre jüngere Nichte wie eine Schwester nahe5). Sie, die als Gattin Napoleons zwar den Glanz des französischen Throns und einer Krone gekostet hat, die in kühnem Ana­chronismus anzuknüpfen versucht hatte an die Traditionen eines alten abendländischen Kaisertums, war seiner Einfachheit, seinem Bedürfnis nach stiller ungestörter Beschäftigung, seiner Naturliebe, seiner gut­mütigen Sinnesart verwandt und daher trotz des Abstandes an geistiger Kapazität und trotz des Abstandes an Kraft, ihre Triebhaftigkeit zu zügeln, befähigt, in Johann gleichbleibend die Gefühle einer aufrichtigen, lauteren und unerschütterlich getreuen Freundschaft wachzuerhalten und zu ver­dienen. Es sind selbstverständlich seine Briefe, die das widerspiegeln. Der Ausdruck, den die Nichte dem Onkel gegenüber fand, ist leider nicht mehr lebendig zu machen, denn ihre Gegenbriefe, die sie ihm mit gleicher Häu­figkeit geschrieben hat, sind offenbar dem oben angedeuteten Zugriff der Zerstörung zum Opfer gefallen6). Und deshalb kann diese Studie in erster Linie nur Johann gelten. s) Nr. 35 vom 25. 12. 1828. 6) Unter dem bereits gesichteten und durch Restaurierung wieder benützbar gemachten Material des Erzherzog Johann Archivs, das sich im Besitz der Fa-

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