Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Aus den Anfängen der christlichsozialen Bewegung in Österreich. Nach der Korrespondenz des Grafen Anton Pergen

Aus den Anfängen der christlichsozialen Bewegung in Österreich 471 treten, dieß allein wird uns die Massen in den großen Städten zuführen“ 44). Der Prinz, dessen Laufbahn — Offizier, Diplomat, freiwilliges Ausscheiden aus dem diplomatischen Dienst — in ihren Anfängen mit jener Pergens fast parallel verlief, hat also schon ein Jahr vor der Übernahme der Re­daktion des „Vaterland“ durch Karl von Vogelsang45) und 13 Jahre vor der endgültigen Zuwendung Luegers zu den katholischen Sozialrefor­mern 4e) klar und deutlich Ideen vertreten, die nach der einschlägigen Literatur in Österreich frühestens 1875, wenn nicht noch später virulent geworden sein sollen47 * *). In diesem Zusammenhang scheint es geboten, auf die zweite Wurzel der katholischen Sozialreform in Österreich kurz hinzuweisen. Die eine — die Genfer Vereinigung unter Bischof Mermillod, in deren Rahmen be­reits 1872 ein sozialpolitischer Ausschuß bestand4S) — wurde schon er­wähnt. Durch Blome, Pergen, Brandis und Kuefstein 40) sind die in Genf bzw. in Ferney mit Bischof Mermillod erörterten Probleme nach Wien ge­bracht worden. Die zweite Wurzel ist der durch die Initiative des Frei­burger Professors Franz Joseph Buß und des Mainzer Erzbischofs Wil­helm von Ketteier entstandene deutsche Sozialkatholizismus jener Zeit. Ketteier hat bekanntlich noch als Propst und Abgeordneter der Paulskirche auf dem ersten Mainzer Katholikentag im Oktober 1848 und in seinen berühmten Mainzer Adventpredigten im selben Jahr „Die großen sozialen Fragen der Gegenwart“ aufgegriffen. Die nächsten eineinhalb Jahrzehnte hat er zu diesem Thema geschwiegen, dafür aber dann als Erzbischof von Mainz 1864 mit seinem von Ideen Lasalles beeinflußten Buch „Die Arbeiter­frage und das Christentum“ um so größeres Aufsehen erregt50). Von diesem Zeitpunkt an sind Mainz und die deutschen Katholikentage die Zentren der deutschen katholischen Sozialreform gewesen. Vor allem der Mainzer Katholikentag vom September 1871 war in dieser Richtung weg­weisend. Die Generalversammlung empfahl dringend die Bildung christlich­sozialer Vereine zur Hebung der Moral und der wirtschaftlichen Lage des Arbeiterstandes. Außerdem sei es notwendig, „durch eine Enquetekommis­sion unter Zuziehung von Arbeitgebern und Arbeitern die ökonomische und soziale Lage der Arbeiter zu prüfen, um aus dem gesammelten Material 44) 1874 VII 12. Liechtenstein an Pergen, Depot Pergen. 45) Klopp a. a. O., S. 73 ff. 46) Kurt Skalnik, Dr. Karl Lueger, Wien-München 1954, S. 60. 47) Vgl. z. B. Klopp a. a. O., S. 147 ff. und besonders ders., im Neuen Reich 7, 1924/25, S. 1184. 4°) Knoll a. a. O., S. 110. 40) Franz Graf Kuefstein (1841—1918), konservativer Sozialpolitiker und Mitbegründer des „Circolo dei studi sociali ed economiche“ (1881). Novotny a. a. O., S. 28 ff. so) Fritz Vigener, Ketteier. Ein deutsches Bischofsleben des 19. Jahrhun­derts. München—Berlin 1924, S. 10, 105 ff., 418 und 444 ff.

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