Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Aus den Anfängen der christlichsozialen Bewegung in Österreich. Nach der Korrespondenz des Grafen Anton Pergen
472 Erika Weinzierl-Fischer die Grundlagen und Bedingungen für die Legislatur eines Arbeitsrechts zu gewinnen“ 51). Die vom Mainzer Katholikentag geforderte Arbeiterenquete ist in Österreich 1883 verwirklicht worden — geleitet von Karl von Vogelsang, durchgeführt von dem Mechaniker Ernst Schneider, finanziert von Aloys Liechtenstein52). Die Bildung christlicher Arbeitervereine ist erst 1892 durch Leopold Kunschak erfolgt 53) — zu spät. Aloys Liechtenstein wollte die Mainzer Anregungen allerdings schon im Herbst 1874 in die Tat Umsetzen und hat Pergen, von dem er auch personelle Informationen bezog, seine diesbezüglichen Pläne nicht verhehlt: „Vielen Dank für Deine Auskünfte über den Social-reformer54) ; — Ich habe, beruhigt durch dieselben, seine Bekanntschaft gemacht und finde die Daten, welche über ihn geliefert wurden, bestätigt; Er behauptet, sein Einfluß nehme unter den Arbeitern zu, der der r o t h e n nehme ab; er macht sich anheischig Versammlungen von paar tausend zusammenzutrommeln, welche uns beifällig anhören würden; und so wie in Wien, hofft er auch in den Provinzen ohne Schwierigkeit überall konservative Arbeitervereine gründen zu können, die vorläufig an uns eine Anlehnung finden würden, und sobald die gegen die Schwarzen noch herrschenden Vorurtheile bei näherer Berührung geschwunden sein werden, als christlich-sociale Partei, also identisch mit uns auftreten könnte55). — Was in Deutschland so famos gelungen ist, muß hier nicht viel schwerer sein, ganze Provinzen sind bis jetzt von der rothen Propaganda verschont geblieben; in anderen ließe sich concurriren; — Ich halte dies alles für ausführbar, und bin überzeugt, daß ich, da ich die sociale Frage an den zuverlässigsten Quellen durchgebüffelt habe, in öffentlichen Discours vor Arbeitern kein Fiasco erleben würde, die ersten paar Male kann man sich auf Zischen und Drohungen gefaßt machen, dann aber gienge es wie geschmiert. Auf keinen Fall aber möchte ich ohne vorherige Autorisation die Sache beginnen, bin aber durchdrungen von der Opportunität und Wichtigkeit derselben“ 56). Diese Autorisation scheint Liechtenstein von seinen konservativen Standesgenossen und auch vom österreichischen Episkopat jener Zeit, dem die soziale Frage im Wesentlichen doch noch sehr ferne lag57), nicht er51) Ebendort S. 657. 52) Klopp a. a. O., S. 154 ff. 58) Alfred Celerin, Die österreichischen Katholikentage des 19. Jahrhunderts, Ungedr. phil. Diss. Wien 1955, S. 150. 54) Möglicherweise der schon genannte spätere Mitarbeiter Vogelsangs und Reichsratsabgeordnete Ernst Schneider. 55) Ebenfalls 1874 legte sich in Tirol eine ungefähr 40 Mann starke Gruppe Tiroler Konservativer den Namen „die Christlich-Socialen“ zu (Schmitz a. a. 0., S. 10), Namen und Idee lagen in der Luft! 5«) 1874 November 16, Liechtenstein an Pergen, Depot Pergen. 57) Fritz Faustmann, Die Sozialpolitik der österreichischen Bischöfe im Herrenhaus (1861—1918), Ungedr. phil. Diss. Wien 1949, S. 209 ff.