Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Aus den Anfängen der christlichsozialen Bewegung in Österreich. Nach der Korrespondenz des Grafen Anton Pergen

470 Erika Weinzierl-Fischer Die von der Rücksicht auf Kaiser und Regierung diktierte Zurück­haltung der Bischöfe unter der Führung des Wiener Kardinals Rauscher 3ä) hat jedoch die katholischen Laien nur stärker zu eigener Aktivität ange­spornt. Ideenaustausch und Absprache gemeinsamer Aktionen bedürfen jedoch einer eigenen Plattform und daher schlug Graf Heinrich Clam- Martinitz35 36) im Oktober 1874 Pergen vor, gelegentliche Besprechungen von Gesinnungsgenossen einzuberufen37). Pergen griff die Anregung auf, worauf Clam-Martinitz die Notwendigkeit von regelmäßigen Tref­fen dieser Art betonte, die dadurch der „Krystallisationskern einer festen Partheyorganisation“ werden könnten: „Warum könnten solche Bespre­chungen als fixe Abende z. B. nicht bei Fürst Alfred Liechtenstein statt­finden?“ 38) In der Folgezeit wurden bei Alfred Liechtenstein mehrere solcher Treffen abgehalten, doch war schon der Plan entstanden, der katho­lischen „Ressource“ in Form eines Kasinos ein Heim zu schaffen 39). Eigene Mittel, die tatkräftige Hilfe seiner Freunde40) und Schulden41) waren die Basis, von der aus Pergen noch 1874 dieses Werk in Angriff nahm. Im Sommer des gleichen Jahres wird in der Korrespondenz des Grafen Pergen zum ersten Mal von einem Österreicher die Bedeutung der sozialen Frage hervorgehoben und zwar von dem damals 28jährigen Prinzen Aloys Liechtenstein42), der in England, der Heimat seiner jungen Frau, die dort schon seit 1852 mit großem Erfolg wirkende christlichsoziale Bewegung kennengelernt hatte 43): „Im übrigen studiere ich Nationalökonomie und denke über die sociale Frage nach, von deren Lösung unser politischer Sieg in naher Zukunft abhängt. — Wir sollten beim nächsten Katholiken­tage mit einem fertigen Programm, analog dem des Mainzer Vereines auf­35) Vgl. Weinzierl-Fischer a. a. O., S. 118 ff. 36) Clam-Martinitz (1826—1897), der Führer der feudal-klerikalen slawisch­föderalistischen Gruppe der Konservativen (Österreichisches Biographisches Le­xikon 1815—1950, I. Band, Graz—Köln 1957, S. 149) gehörte später zu jenen Katholiken, die den sozialpolitischen Reformvorschlägen Vogelsangs ablehnend gegenüberstanden. Wiard Klopp, Leben und Wirken des Sozialpolitikers K. Frhr. v. Vogelsang, Wien 1930, S. 192 und 278 f. 37) 1874 X 21, Clam-Martinitz an Pergen, Depot Pergen. 3S) 1874 XII 30, ders. an dens., ebendort. 39) Vgl. mehrere undatierte Briefe aus dem Konvolut Aloys Liechtenstein, Depot Pergen. 40) Z. B. Ferdinand Brandis gemeinsam mit seinem Vetter 1000 fl., Aloys Liechtenstein und dessen Tante Sophie Dietrichstein je 1000 fl. Darlehen, auf die sie später verzichteten. 1874 XII 17, Brandis an Pergen, 1891 IV 18, Aloys Liechtenstein an Pergen, ebendort. 44) „Du hast das Casino mittelst Schulden aus dem Boden gestampft“. Unda­tierter Brief (Sommer 1875?) Aloys Liechtensteins an Pergen, ebendort. 42) Über Aloys Liechtenstein (1846—1920) vgl. Erika Weinzierl-Fischer, Große Österreicher XIV, Wien 1960, S. 96 ff. 43) Gertrude Schmitz, Die Entwicklungsgeschichte der christlichen Volks­bewegung in Österreich (1875—1891), Ungedr. phil. Diss. Wien 1938, S. 25.

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