Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Aus den Anfängen der christlichsozialen Bewegung in Österreich. Nach der Korrespondenz des Grafen Anton Pergen
Aus den Anfängen der christlichsozialen Bewegung in Österreich 469 Wünsche wider, die ihn und seine Standes-, Gesinnungs- und Kampfgenossen bewegten. Auf ihre Probleme soll nun an Hand des Nachlasses Pergen im folgenden kurz eingegangen werden. Das vordringlichste Anliegen der österreichischen Katholiken in der ersten Hälfte der Siebziger Jahre war für den innerstaatlichen Raum immer noch die Auseinandersetzung mit der liberalen Gesetzgebung. Nach der Sanktionierung der konfessionellen Gesetze vom Mai 1868 und der Kündigung des Konkordates 1870 fehlte ja noch immer die staatliche Rege- lung der äußeren Rechtsverhältnisse der katholischen Kirche. Ihre Inangriffnahme durch die liberale Regierung Adolf Auersperg bzw. durch den liberalen Kultusminister Stremayr im Jahr 1874 löste die letzte große Welle des österreichischen Kulturkampfes des 19. Jahrhunderts aus32). Dem Problem, ihr standzuhalten, galten auch die Erwägungen, die Graf Ferdinand Brandis, der Mitkämpfer Pergens aus der Genfer Zeit, am 25. Jänner 1874 anstellte, nachdem Stremayr drei Tage vorher dem Abgeordnetenhaus die einschlägigen Gesetzesentwürfe vorgelegt hatte: „Die bevorstehende staatliche Wiedergeburt des Josephinismus trifft uns allerdings nicht unerwartet, allein es war bisher doch nur immer eine unbestimmte Gefahr, greifbare Gestalt fängt die Sache erst jetzt an anzunehmen, und wird Zweifels ohne wohl bald als vollendete Thatsache dastehen“. Da Brandis sich aber bewußt war, daß „die gewöhnlichen Mittel: Resolutionen, Adressen und Petitionen vielfach abgebraucht und wirkungslos gemacht worden sind“, schlug er Pergen die Abfassung eines Memorandums durch einen fähigen Juristen vor. In diesem Schriftstück soll der Rechtsbruch — „da das Concordat ein vor der Verleihung der Constitution bestandener Staatsvertrag ist“ — und der Verfassungsbruch — „da diese Gesetze mit den Grundrechten in Widerspruch stehen“, schlagend dargelegt werden. Unterzeichnet von bedeutenden Katholiken aus allen Provinzen der Monarchie soll dieses Dokument dem Kaiser „als Kehrseite des reichs- räthlichen Votums“ vorgelegt werden. Außerdem sollten in allen Diözesen die Bischöfe gebeten werden, „die Rechte der Katholiken auf die Wahrung der Rechte ihrer Kirche“ zu vertreten, vor allem im Herrenhaus, aber nicht bloß als Mitglieder dieser Institution, sondern „als Episkopat Österreichs im Nahmen und über Aufforderung ihrer Diözesanen“ 33). Zwei Monate später hat Brandis jedoch bereits resigniert: „Unsere Bischöfe schweigen. Das Erscheinen derselben im Herrenhause scheint mir eine schwache Abschlagszahlung auf ihre Pflicht; sie sollten als Bischöfe sprechen und hierfür ist nicht der Platz im Herrenhaus“ 34). in dem sie nun als Depot verwahrt wird. Die Erlaubnis, die Korrespondenz wissenschaftlich verwerten zu dürfen, ist ebenfalls der freundlichen Vermittlung P. Csákys zu danken. 32) Vgl. dazu Erika Weinzierl-Fischer, Die österreichischen Konkordate von 1855 und 1933, Wien 1960, S. 118 ff. 33) 1874 I 25. Brandis an Pergen, Depot Pergen. 34) 1874 III 26. Brandis an Pergen, ebendort.