Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 14. (1961) - Festschrift für Gebhard Rath zum 60. Geburtstag

RILL, Gerhard: Die Staatsräson der Kurie im Urteil eines Neustoizisten (1706)

318 Gerhard Rill wird3). Trotzdem ist manches an dem folgenreichen Verhalten dieses Mannes noch ungeklärt. Obwohl sein Verhältnis zum Papst zunächst ein gutes, fast herzliches war, wurde er doch bald dessen schärfster Kritiker. Ohne nach den Beweggründen für diesen Umschwung zu suchen, hat man gegen ihn deshalb die verschiedensten Vorwürfe erhoben: Naivität und Pedanterie (Landau) 4), Launenhaftigkeit (Galland) 5) und Verständnis­losigkeit (Pastor) 6). Und gerade die vorliegende Representation scheint für jede dieser Anklagen im einzelnen Anhaltspunkte zu bieten, — und weist dann im Zusammenhang doch in eine ganz andere Richtung. In seinen Berichten und Tagebüchern, selbst noch in der sorgfältig aus­gearbeiteten Relazione, greift Lamberg nur gelegentlich auf historische, noch seltener auf philosophische oder theologische Argumente zurück. Anders in unserer Denkschrift: hier erscheint die spezielle Kritik geradezu aus den Grundsätzen einer politischen Ethik abgeleitet. Sollten also die einleitenden Betrachtungen der Representation ein einigermaßen abgerun­detes Bild der grundsätzlichen Gesinnung des Autors vermitteln oder aber die Abrundung dieses Bildes aus anderer Quelle gestatten, dann bestünde immerhin die Möglichkeit, eine verborgene Wurzel der bevorstehenden Auseinandersetzung Josephs I. mit Clemens XI. freizulegen, — soferne es zutrifft, daß die Suspendierung des diplomatischen Verkehrs zwischen Wien und Rom durch Lambergs Ratschläge verschuldet wurde7). Rom — so beginnt Lamberg seine Betrachtungen — ist als Sitz des Papstes, des Lenkers menschlichen Gewissens, die Quelle alles Guten. Doch trägt dieselbe Stadt noch ein zweites Antlitz: als Brutstätte alles Bösen, das sich gegen die Staatswesen in Form von Empörung, Zwiespalt und offenem Aufruhr erhebt. Man hat den Ursprung dieses Bösen, das jeden zu infizieren im Stande ist, mit dem des besagten Guten in Verbindung zu bringen versucht, — ein Vorhaben, dem jedoch weder die Religiosität noch der offizielle Rang des kaiserlichen Ver­treters zu folgen vermögen. Man tat dies vor allem, indem man sich auf die Schenkung Konstantins des Großen bezog: seither habe die Kirche die Religion ebenso vernachlässigt, wie sie sich auf die Erweiterung ihrer weltlichen Herr­schaft konzentrierte, — und darin fand man auch das Hauptmotiv für die con­3) Korrespondenz mit der kaiserlichen Kanzlei in Wien (HHStA., Staaten­abteilung Rom) und im Hausarchiv des regierenden Fürsten von Liechtenstein, Vaduz (zusammen mit der Korrespondenz mit dem Fürsten Anton Florian); Tagebücher im niederösterreichischen Landesarchiv: Schloßarchiv Ottenstein Hs. 359 Bd. 1—3; die daraus abgeleitete Relazione istorica (nur erster Teil voll­endet) im HHStA.: Hs. W 486 ( = Böhm 962). — Abschrift des Dekretes Karls III. vom 12. März 1704, Lissabon, im Tagebuch 3, 314. 4) Landau, Rom, Wien, Neapel 33 ff. 5) J. Galland, Die Papstwahl des Jahres 1700 im Zusammenhänge mit den damaligen kirchlichen und politischen Verhältnissen (Historisches Jahrbuch 3, 1882) 610 f. 6) Ludw. v. Pastor, Geschichte der Päpste 15 (1930) 23 und passim. 7) In diesem Sinne P a s t o r 1. c. 28.

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