Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 12. (1959)

ROEMHELD, Friedrich: Konstantin Reitz. Ein vergessener Vorkämpfer für abendländische Kultur in Afrika

354 Friedrich Roemheld hang, während die Christen auf der Höhe des Berges wohnten, wo sich auch das allerdings größtenteils in Trümmern liegende alte, feste Königs­schloß sowie verschiedene Klöster, Kirchen und der Marktplatz befanden. Das eine der Klöster war eine Freistatt für politisch Verfolgte. Sie wurde aber auch von Gesindel aller Art bewohnt, das sich dort in völliger Sicher­heit wußte. In Gondar hatte auch Kasa ein Haus, einen zweistöckigen, sehr baufälligen Turm, in dem sich die Reisenden für einige Wochen so wohn­lich wie möglich einrichteten. In den nächsten Tagen wurde die Stadt und ihre Umgebung eingehend besichtigt. Die Straßen waren unglaublich schmutzig, steil, krumm und eng, die Häuser, die oft zwei Stockwerke hatten, gewöhnlich aus Stein erbaut, rund und mit Stroh- oder Schilf dächern gedeckt und häufig von einem geschlossenen Hofraum umgeben. Die Zahl der Einwohner mochte 5-—6000 betragen, war aber, den vielen leerstehenden und in Trümmern liegenden Häusern nach zu schließen, einige Jahrzehnte zuvor wohl doppelt so groß gewesen. Die Stadt beher­bergte viele Handwerker, Gold- und Silberarbeiter, Sattler, Kupfergießer, Dreher, Schmiede, Korbflechter, Pulverfabrikanten usw. Die Verarbeitung der Baumwolle hatte sich zu einem bedeutenden Industriezweig entwickelt. Der Verkehr schien wegen der politischen Wirren sehr darniederzuliegen. In Gondar wurden die Fremden den ganzen Tag von Besuchern beglückt und belästigt, die alle mit der mehr oder minder deutlichen Absicht zu betteln kamen. Unter ihnen befanden sich viele Geistliche und Schrift­gelehrte, sowie Glieder fürstlicher Familien. Sogar der Fürst Mersu, ein Bruder Ubies, der wegen seiner Streitigkeiten mit Ubie und Ras Ali in der politischen Freistätte in Gondar lebte, verschmähte es nicht, Reitz um ein paar Pistolen anzubetteln. „Da ich ihm“, so berichtet Reitz 82 83), „man­cherlei interessante Mitteilungen über die neueren politischen Zustände Abessiniens verdankte und er und seine Söhne mich oft besuchten, so hatte ich letzteren einige Tage vorher schon mancherlei kleine Geschenke ge­macht, die als Beweis von gegenseitiger Freundschaft nach meiner Ansicht schon mehr als hinreichend waren. Außerdem konnte ich keine Pistole ent­behren. Darum entgegnete ich: Die Pistolen, welche ich bei mir habe, dienen mir und meinen Leuten zum Schutz auf der Reise, ich kann deshalb keine entbehren, werde übrigens von Khartum aus dem Detschatsch Mersu ein Paar gute Pistolen schicken. Diese Antwort wurde von Sr. Hoheit als sehr ungenügend befunden, und er schlug mir einen Ausweg vor, indem er sich bereit erklärte, sich mit sofortiger Übermachung des Preises guter Pisto­len in guten Mariatheresientalern63) ... begnügen zu wollen. Ich be­82) Aus Debr Eski in Semien am 25. Februar 1853. 83) Der Mariatheresientaler war eine von Österreich geprägte, für den Handel in Afrika bestimmte Münze mit dem Bildnis der Kaiserin und der Jahreszahl 1780. Sie war in ganz Nordafrika, einem Teil Innerafrikas und im Sudan südlich bis über Khartum hinaus verbreitet und war in Abessinien das einzige gangbare Zahlungsmittel.

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