Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 12. (1959)

ROEMHELD, Friedrich: Konstantin Reitz. Ein vergessener Vorkämpfer für abendländische Kultur in Afrika

340 Friedrich Roemheld In Abessinien teilten sich viele örtliche Machthaber als Statthalter oder Fürsten (Detschatschs) in die Gewalt, doch stand über ihnen ursprünglich ein Oberkönig oder Kaiser (Negus), dessen Geschlecht seinen Ursprung auf König Salomo zurückführte. Mit der Zeit war das Ansehen des Kaisers in den Kämpfen mit unbotmäßigen Statthaltern immer mehr gesunken, und seit 1838 war der Gallafürst 50) A 1 i der mächtigste Mann im Lande. Er gebot über die Landschaft Amhara, den mittleren Teil Abessiniens, rings um den Tanasee gelegen, die u. a. die Provinzen Begemeder, Köara, Godscham und Dembea mit der alten Kaiserresidenz Gondar um­faßte. Ali hatte den Kaiser Saglu Denghel, der ohnehin nur noch ein schat­tenhaftes Dasein geführt hatte, absetzen lassen, beeilte sich nun aber durchaus nicht etwa, dem Lande ein neues Oberhaupt zu geben, sondern führte selbst als Reichsverweser mit dem Titel Ras (König) die Regierung und suchte mit allen Mitteln, seine Machtstellung und sein Ansehen zu festigen und seiner Herrschaft die allgemeine Anerkennung zu verschaffen. Mit diesen Bestrebungen stieß er auf den hartnäckigen Widerstand anderer Statthalter. Der mächtigste und bedeutendste unter ihnen war der Detschatsch U b i e, der im Norden des Landes in seinen ererbten Provinzen Semien und Walkeit saß und sich dazu noch Tigre erobert hatte. „Sowohl Ras Ali wie Detschatsch Ubie waren Männer, die wohl imstande gewesen wären, dem schon ein Jahrhundert dauernden Bürgerkrieg durch ihre außergewöhnliche Tatkraft und Klugheit ein Ende zu machen und das von allen Schrecken durchwühlte und innerlich völlig zerfallene Land ... wieder unter einem Szepter zu vereinigen, ein Ziel, das diese beiden ohne Zweifel sehr bedeutenden Fürsten beständig mit ihrer ganzen Tat­kraft anstrebten, mochte die Triebfeder auch die eigene Herrschsucht sein. Doch keiner von ihnen sollte es erreichen. Ein ganz anderer Mann tauchte plötzlich aus dem Dunkel der politischen Verwirrung auf, um das Schicksal Abessiniens zu bestimmen.“ Das war Kasa, wohl die merkwürdigste Herrschergestalt, die der afri­kanische Boden hervorgebracht hat. Er war um das Jahr 1820 in Scharhié, der Hauptstadt der amharischen Provinz Koara, als Sprößling eines Für­stengeschlechtes aus dem gestürzten salomonischen Herrscherhause ge­boren, war früh verwaist, von habsüchtigen Verwandten aller fürstlichen Vorrechte und sogar aller für seinen Lebensunterhalt nötigen Mittel be­raubt worden und in Not und Armut auf gewachsen. Für den Mönchs­stand bestimmt, war er in einem Kloster am Tanasee erzogen worden. Allein als kriegerische Wirren das Land beunruhigten, hatte er die gün­stige Gelegenheit benutzt und war geflohen. Dann hatte er sein Leben als Räuber und Wegelagerer gefristet, eine Handvoll Genossen um sich gesam­melt und andere Räuberbanden besiegt oder sich mit ihnen zu gemeinsamen, so) Die im Süden Abessiniens wohnenden Gallas stehen zu den Abessiniern im Verhältnis der Leibeigenschaft; vgl. Harms, a. a. O., § 175. Sie sind ein Mischvolk aus Hamiten, Negern und Arabern (ebd. § 181).

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