Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 12. (1959)

MISKOLCZY, Julius: Metternich und die ungarischen Stände

254 Julius Miskolczy Memorandum des Staatskanzlers über die Frage des Slawismus, der bei ihm und seinen Zeitgenossen Panslawismus hieß. In diesem Memorandum erkannte Metternich das Wesen der Nationalität als Teil der moralischen Individualität des Menschen; was er über den Anfang des Panslawismus und über dessen Hauptzweige sagt, das ist auch richtig. Trotzdem können wir nicht sagen, daß er die ganze Wichtigkeit der Frage erkannte, sonst hätte er es nicht bei einem Memorandum bewenden lassen. Jedenfalls ent­sprach das, was er auf diesem Gebiet tat, dem Aufbau der Monarchie, Wir besitzen keine Zeile aus seiner Feder, mit der er empfohlen hätte, die öffentlich-rechtliche Konstruktion des Reiches wegen des Kampfes der Nationalitäten anzutasten. Welch großer Unterschied zwischen seiner Auf­fassung und den Plänen des Kremsierer Reichstages oder der Verfassung vom 4. März 1849! Jedenfalls haftete seine Auffassung, obwohl er das Gegenteil behauptete, doch am Mechanischen, Künstlichen. Er wollte Ruhe haben, nicht die Nationalitäten gegeneinander ausspielen. Sollte sieh eine Differenz unter den verschiedenen Nationalitäten zeigen, so hätten sie sich an den Thron zu wenden, um von dort Gerechtigkeit zu erwarten. Der ungarische Staatsmann, der von Metternich sagte, er sei kein Feind der ungarischen Sprache gewesen, sagte die Wahrheit. Er hat mit seinem feinen politischen Instinkt noch rechtzeitig erkannt, daß diese Sprache die Sprache der führenden Schichte, die Sprache des Adels war, daß ein moderner Staat ohne eine Staatssprache nicht gut bestehen könne. Gewiß hat er die vielsprachige Zusammensetzung des Karpathenbeckens in seine Berechnungen einbezogen, bestimmt hätte er die Herrschaft der lateini­schen Sprache weiterhin gewünscht, wie er es noch auf dem Reichstag 1832—36 gewünscht hatte, aber mit der Zeit mußte er einsehen, daß diese Sprache zum Aussterben verurteilt war und, daß ihre Stelle nur von der magyarischen eingenommen werden konnte. [Die Nationalitäten Ungarns haben kein öffentlich-rechtliches Gebilde dargestellt mit Ausnahme Kroatiens. Kroatien war ein Staat, dessen Rechte auch ohne südslawische Idee von der Regierung geschützt werden mußten, wie es diesen Schutz wirklich bekam.] Noch eine Frage taucht hier auf. Wollte Metternich die verschiedenen ungarländischen Nationalitäten den magyarischen Ansprüchen ausliefern? In dem Vorhergehenden ist schon die gründliche Antwort auch auf diese Frage enthalten. Die Zerreißung des öffentlich-rechtlichen ungarischen Staatskörpers sollte nach seiner Auffassung der König, der Träger der Krone, des Symbols der staatlichen Einheit, nicht gestatten, aber auf der anderen Seite die kulturellen Bestrebungen jedes Stammes in Schutz neh­men. Schule und Kirche nationalen Prätensionen aufzuopfern, war unver­einbar mit den Prinzipien Metternichs. Sein Ungarn (— und seine Monar­chie —) hätte eben die Interessen einer jeden Kultur, eines jeden Stam­mes bewahrt.

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