Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 12. (1959)

MISKOLCZY, Julius: Metternich und die ungarischen Stände

Metternich und die ungarischen Stände 255 Wenn wir heute, aus der Perspektive von hundert Jahren auf dieses Leben eines Staatsmannes zurückblicken, so tun wir das mit einer gewissen Beklommenheit. Der führende Gedanke in seiner Politik war immer das Interesse der Gesamtmonarchie. Diese Monarchie ist verschwunden, und damit die Ausbalancierung der Kräfte in der Mitte Europas. In seiner poli­tischen Anschauung haben die Donauvölker, kleine Gebilde zwischen zwei Großmächten, eine ausgleichende Funktion erhalten und waren die Mit­glieder einer Großmacht geworden. Diese Völkerschaften sollten auch von dem ewigen Hader in der zweiten Hälfte des neunzehnten und am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts bewahrt bleiben. Der Staatskanzler hatte den Thron in eine Höhe gehoben, die einen solchen Streit erschwerte, von wo aus die streitenden Parteien mit einem Machtwort beruhigt werden konnten. Er rührte den Aufbau dieser Monarchie mit keinem Finger an, weil er erkannte, daß die Sicherheit des Bestehens im Historischen gegeben war. Damit verurteilte er alle Nachkommen, die gegen das geschichtlich Gewordene im Namen neuer Ideen ankämpfen sollten. Heute ist eine Anzahl von neuen Staaten aus dem Körper der alten Monarchie entstanden. Diese Staaten hatten sich mehr oder weniger macht­los und seelisch zerrissen gezeigt, was Metternich vermieden wissen wollte. So ist seine Gestalt auch in der Geschichte Ungarns und der Donauvölker in das Licht des Bewahrers gerückt, der allerdings für das Leben der Nationen keine neue Richtung zu geben vermochte. Bibliographie. Die Hauptquelle dieser kurzen Übersicht lieferten die Akten, die zahlreiche Vota des Staatskanzlers enthalten, hauptsächlich die Konferenzakten (Ca a und s), von denen ein Teil durch den zweiten Weltkrieg vernichtet wurde. Die von seinem Sohne Viktor in den Achtziger Jahren herausgegebenen „Nachge­lassenen Papiere“ beurteile ich minder pessimistisch, als es gewöhnlich geschieht: die Textänderungen sind m. E. wenig wesentlich. Von österreichischer Literatur führe ich nur das Werk von Heinrich Ritter von Srbik, „Metternich der Staats­mann und der Mensch“ (1925) an, das ich wiederholt benützte, obwohl das von Viktor Bibi mitgeteilte Material (dessen Werk über den „Zerfall Österreichs“, 1922—24, ich ebenfalls benützte) die Gestalt Metternichs in ein grelles Licht stellt. Weitere Daten lieferten mir die Korrespondenz mit Gr. Hartig („Ein Briefwechsel des Staatskanzlers aus dem Exil 1848—1851“, herausgegeben und eingeleitet von Franz Hartig, 1923) und mit Frh. von Kübeck („Metternich und Kübeck. Ein Briefwechsel“, hgg. und eingeleitet von Max Frh. v. Kübeck. 1910). Die kroatische und die serbische Geschichtsschreibung bewegt sich bei der Beurteilung der Tätigkeit des Staatskanzlers auf den alten Bahnen. In den ungarischen Quellen und bei den älteren ungarischen Verfassern kann man zur Chrakteristik Metternichs nur wenig Daten finden. L. Wirkner stand in engem Verkehr mit ihm, kein Wunder also, daß er die liebenswürdigen Manie­ren des Staatskanzlers betonte. („Meine Erlebnisse. Blätter aus dem Tagebuche meines öffentlichen Lebens vom Jahre 1825—1852.“ 1879). Es fällt auf, daß die jungen Konservativen keine Schilderung Metternichs hinterließen, sogar der historisch gebildete Gf. A. Szécsen bricht seine Essays vor dem öffentlichen Auftreten des Staatskanzlers ab. Da auch Gf. J. Mailáth von ihm keine beson-

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