Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)

MARX, Julius: Die amtlichen Verbotslisten. Neue Beiträge zur Geschichte der österreichischen Zensur im Vormärz

448 Julius Marx Franzosenkriege erlebt hatte, weicht dem Drange der neuen Geschlechter, deren politische Bestrebungen den Machthabern bald unangenehm fühlbar wurden, sowohl in Taten als auch im literarischen Schaffen und in diesem ganz besonders, weil jene erfolglos geblieben waren. Die Romantik wird von der politischen Dichtung abgelöst, die nun für den ganzen folgenden Zeitraum bis zur 1848er Bewegung kennzeichnend ist. Naturgemäß nimmt die französische Literatur und Kunst in unseren Listen breiten Raum ein. Das hervorstechendste Ereignis, die Pariser Julirevolution, taucht in ihnen zuerst mit einem Stein­druck „Schaudervolle Nacht des Juli 1830 in Paris“ (30 VIII/2) auf, und sie bleibt zunächst ein beliebter Stoff der Lithographien. Sie wurden von der österreichischen Zensur unterdrückt, desgleichen die meisten der Druckschriften, die sich mit den Ereignissen oder den gestürzten Größen befassen, ebenso Musikalien. Indes ebbt diese Revolutionsliteratur schon im folgenden Jahre rasch ab. Reich vertreten, besonders vor dem Juli 1830 ist die Memoirenliteratur, je zur Hälfte auf irgendwie hervorragende Frauen und berühmte Männer entfallend. Napoleon, seine Familie, seine Generale finden wir in Geschichtswerken, Memoiren, namentlich aber in Lithographien verherrlicht, der Tod seines Sohnes, des Herzogs von Reich­städt gab natürlich neuen Anstoß dazu. Den Verboten fiel auch die Bin- zersche Vertonung der „Nächtlichen Heerschau“ Zedlitzens 126) zum Opfer. Weit geringer ist die Zahl, der in den Listen angeführten Werke philoso­phischen, geschichtlichen oder auch politischen Inhalts, wir finden solche von Diderot und Voltaire, von Guizot, Michelet und Sismondi, von Con­stant; der Schriften zum St. Simonismus wurde schon gedacht. Von kirchenpolitischen Arbeiten sind jene von Lamennais, Lacordaire und Grégoire zu nennen. Das damals moderne französische Schrifttum ist hier wieder stark vertreten. Und da von der Zensur grundsätzlich nur Dezisen auf vorliegende Stücke gegeben wurden, so muß man auch für Österreich mit einer großen Beeinflussung rechnen, wie uns das für Ungarn und andere Länder bezeugt ist127). Wir finden hier in der Ursprache oder auch in Übersetzungen alle glanzvollen Namen vertreten, die Frankreich damals aufwies: Die Dichter Béranger, Victor Hugo, de Müsset, Debreaux, Barthé- * S. 12e) Pr.Z.-A„ 30 IX/1, Az. 209/210, Musikalien: D. A. B i n z e r, Die nächtliche Parade; Gedicht von Frh. v. Zedlitz; mit Begleitung d. Pianoforte f. eine Baßstimme. Braunschweig. Busse. — Frankl, Erinnerungen, a. a. 0., S. 190, 209 f. — August v. Binzer, Zedlitz’ Freund, von dem das tiefempfundene Lied „Wir hatten gebauet ...“ stammt, hat demnach auch „Die nächtliche Heerschau“ vertont; vgl. E. Castle, Der Dichter des „Soldatenbüchleins“; Grillp.-Jahrb. VIII. (1898), S. 86 u. a. 12T) Stern, a. a. O., V, S. Iff., 12, 16, 22 f., 60. — F. Pulszky, Meine Zeit, mein Leben. 3 Bde, Preßburg und Leipzig 1880—1882; I, S. 113, 123 f., 390, 401 f. — J. v. Fark a s, Der ungarische Vormärz; Ungarische Jahrbücher, 23. Bd„ Berlin 1943; S. 95, 142, 156 ff., 166.

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