Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)
FELLNER, Fritz: Die Verstimmung zwischen Wilhelm II. und Eduard VII. im Sommer 1905
506 Miszellen Übrigens habe er sich — für jetzt — damit begnügt, über den ganzen Vorfall an Lord Lansdowne einen vertraulichen Bericht zu richten.“ Es ist nun interessant, diesen Bericht Szögyénys mit den Publikationen der deutschen, französischen und britischen Akten zu vergleichen : in allen drei Werken finden sich Berichte über eine Unterredung Lascelles’ mit Bülow am 10. Juni. Bihourd, der französische Botschafter, berichtet am 11. Juni 1905 von einem Gespräch mit Lascelles, in welchem dieser von einer Unterredung mit dem Reichskanzler spricht8). Bölow selbst informiert am 11. Juni seinen Botschafter in London, Grafen Metternich, über eine Unterredung mit Lascelles am 10. Juni9). Und Lascelles berichtet an Lansdowne am 12. Juni über eine Unterredung mit Bülow und eine mit Holstein am gleichen Tage10). Alle diese Berichte stimmen inhaltlich weitgehend überein, erzählen von Bülows Beschwerden über das Verhalten der englischen Presse und erwähnen die von Bülow aufgestellte Behauptung, er habe sichere Kenntnis von einem englischen Bündnisangebot an Frankreich, das von der französischen Regierung abgelehnt worden sei; außerdem wird in allen drei Berichten einer bei dieser Unterredung stattgefundenen Besprechung der marokkanischen Frage breiter Raum gewidmet, die bei Szö- gyény überhaupt nicht erwähnt ist. Dafür fehlen aber vollkommen auch nur die geringsten Andeutungen über den von Szögyény so ausführlich berichteten Zwischenfall auf dem Bahnhof und die sich daraus ergebende Kontroverse. Während nun aber die englischen, deutschen und französischen Akten von einem Abschiedsbesuch bei Bülow vor seiner Abreise in den Urlaub sprechen, berichtet Szögyény, daß Lascelles Bülow aufgesucht habe, um sich über das Verhalten des Kaisers auf dem Bahnhof zu beklagen und daß daraufhin der Reichskanzler noch am selben Tage bei Lascelles vorsprach. Es müssen also in den Tagen vor dem 10. Juni mehrere Unterredungen Lascelles mit Bülow stattgefunden haben. Daß Bihourd darüber nichts zu berichten weiß, ist weiter nicht bedenklich; es ist durchaus möglich, daß ihm Lascelles von dem Vorfall nichts mitteilte. Bedenklicher ist es, daß die britischen und die deutschen Aktenpublikationen darüber nichts erwähnen, denn es besteht nicht die geringste Ursache anzunehmen, daß Lascelles Szögyény ein Märchen aufgetischt habe. Ganz im Gegenteil, die Berichte des österreich-ungarischen Botschafters aus all diesen Jahren lassen erkennen, daß die Beziehungen zu seinem britischen Kollegen die herzlichsten gewesen sind und Szögyény ist oft von Sir Frank, mit dem er engen gesellschaft8) Documents Diplomatiques Francais 1871—1914 (DDF.), ser. II, vol. VII, S. 36 ff. 9) GP. Bd. XX/2, S. 628—630. 10) Die Britischen Amtlichen Dokumente über den Ursprung des Weltkrieges 1898—1914 (BD.), Bd. III, Nr. 97 u. Nr. 98.