Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)

FELLNER, Fritz: Die Verstimmung zwischen Wilhelm II. und Eduard VII. im Sommer 1905

Miszellen 507 liehen Kontakt hielt, aufrichtiger informiert worden als von dem deut­schen Verbündeten. Allerdings lassen sich einige Ungenauigkeiten in Szögyénys Bericht erkennen: der Empfang des Prinzen Arthur muß vor dem 6. Juni statt­gefunden haben; Lascelles soll, seinem Bericht nach, noch am gleichen Tage mit Bülow gesprochen haben. Die erwähnten Bemerkungen über das englische Bündnisangebot kann Bülow aber erst nach dem 7. Juni gemacht haben11). Nun ist es durchaus möglich, daß entweder schon Lascelles, oder aber Szögyény, der seine Darstellung ja erst einige Tage nach den Mitteilungen Lascelles niederschrieb, die Dinge etwas zusam­mengefaßt und vereinfacht hat. An dem wesentlichen Kern, dem Zwi­schenfall auf dem Bahnhof aber, kann, glaube ich, kaum gezweifelt wer­den. Außerdem erwähnt Szögyény ja in seinem Bericht ausdrücklich, daß ihm Lascelles mitgeteilt habe, er könne nicht umhin, seinem Minister einen vertraulichen Bericht über das Inzident zu schicken. Dieser Be­richt findet sich zwar in der britischen Aktenpublikation nicht, daß er aber existierte, darauf deutet eine Bemerkung hin, die Graf Metternich am Beginne seines Telegrammes vom 16. Juni 1905 macht, mit welcher er Bülows Informationen vom 11. beantwortete12). Metternich erwähnt eingangs, er hätte mit Lansdowne gesprochen, der ihm sagte, „er habe drei (Sperrung vom Verfasser) Berichte Sir Frank Lascelles’ erhalten über Unterredungen, die der Botschafter mit Seiner Majestät dem Kai­ser, dem Reichskanzler und Baron Holstein gehabt habe ...“, um dann ausführlich auf die Frage der Presseangriffe und das umstrittene Bündnisangebot einzugehen. Die Berichte über die Gespräche mit Bülow und Holstein sind in den britischen Dokumenten veröffentlicht, der über die Unterredung mit dem Kaiser fehlt13). Damit scheint zumindest indirekt, in formaler Hinsicht, Szögyénys Bericht bestätigt und es bleibt nur noch die Frage, warum dieser ganze Zwischenfall keinen Nieder­schlag in den Aktenpublikationen gefunden hat: der Grund liegt wohl in der unglücklichen Zusammenstellung dieser Werke nach Problemen, die eine völlige Zerreißung selbst einzelner Berichte zur Folge hatte. Was nicht zu dem behandelten Problemkreis gehörte, wurde bei der Auswahl ausgeschieden. Für die Marokkofrage schien der kleine Zwi­schenfall im Augenblick nicht von Bedeutung, daher wurden die dies­bezüglichen Mitteilungen nicht aufgenommen. In ähnlicher Form ist ja auch die norwegische Frage, die gerade zur gleichen Zeit, in welcher die Auseinandersetzung über Marokko das deutsch-französische Verhältnis bestimmte, die deutsch-englischen Beziehungen ganz wesentlich be­lastete, in den deutschen und englischen Aktenpublikationen in diesem 11) GP. XX/2, Nr. 6853, S. 623. 12) GP. XX/2, Nr. 6858, S. 630. 13) Siehe Anm. 10.

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