Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)

NECK, Rudolf: Über die Abschiedsbriefe des Kronprinzen Rudolf

498 Miszellen im Haus-, Hof- und Staatsarchiv wurden auch sechs Platten mit Aufnahmen eines Briefumschlages, des Abschiedsbriefes Rudolfs an Szögyény und einer letzten Willenserklärung, alle von der Hand des Kronprinzen, gefunden. Die Aufnahmen waren unsigniert und die Art und der Anlaß ihrer Ent­stehung konnten bisher nicht festgestellt werden. Es ist auch vorläufig nicht zu eruieren gewesen, ob und wo die Originale erhalten geblieben sind. An der Echtheit bestehen meines Erachtens keine Zweifel. Der Fund ist ein Beweis für die Bedeutung archivalischen Fotomaterials für die histo­rische Forschung. Nach dem nunmehr authentischen Wortlaut ist wohl als ziemlich sicher anzunehmen, daß dieser Brief nicht wenige Minuten vor dem Tode von Rudolf geschrieben wurde* 2 * 27), sondern schon in Wien, wahrscheinlich am 28. Jänner. Die Angaben, die Szögyény darüber gegenüber einem britischen Diplomaten gemacht hat, sind offenbar genau so bewußt irreführend wie seine anderen Bemerkungen zur Tragödie28). Im Original ist besonders der letzte Satz bemerkenswert, der noch viel eindeutiger die Sympathien des Kronprinzen für Ungarn zum Ausdruck bringt, als die bisher bekannten Fassungen. Im übrigen gibt der Brief keine neuen Aufschlüsse, der Grund­ton ist derselbe, wie man ihn aus den Nachrichten über die anderen Ab­schiedsbriefe kennt: Rudolf spricht nur von der Notwendigkeit zu sterben, so verlangt es die Ehre, ein eigentlicher Grund wird nicht genannt. Aufschlußreicher für die Mayerlingforschung dürfte die in deutscher Sprache abgefaßte Beilage zu dem Brief sein, die vermutlich unmittelbar vor dem Brief geschrieben worden ist. Sie stellt eine Weisung, im gewissen Sinne auch eine Vollmacht für Szögyény dar; nach den eigenen Worten Rudolfs handelt es sich um seinen letzten Willen, man kann es als ein Kodizill bezeichnen. Vom Kronprinzen sind zwei große Testamente bekannt, das erste aus dem Jahre 1879 29) und das zweite, das bei seinem Tod in Kraft trat, von 1887 30). Beim Tode des Kammerdieners Loschek gingen Gerüchte von einem unbekannten letzten Testament des Kronprinzen durch die Presse31). Wenn auch die weitgehenden Kombinationen über den Inhalt, der sozusagen ein politisches Vermächtnis darstellen sollte, nicht zutrafen, so dürften diese Nachrichten ihren Ursprung in Loscheks Kenntnis von dem vorlie­genden Stück finden. 27) Wie Mitis, a. a. 0., S. 204 annimmt. S. 12ö bezeichnet er den Abschieds­brief an Szögyény als „sagenhaft“. 2S) Hollaender, a. a. O., S. 156 f., Anm. 11. Vergl. auch die widerspruchs­vollen Bemerkungen Szögyénys über den Geisteszustand Rudolfs gegenüber dem deutschen und russischen Botschafter (Bibi, a. a. O., S. 82 f. und Dnevnik W. N. Lamsdorfa 1886—1890 (ed. T. Rothstein). Moskau 1926, S. 178 ff.). 2») Mitis, a. a. O., S. 256 ff. 30) Vergl. Mitis, a. a. O., S. 403. Der Text im Memoirenwerk der Kron­prinzessin Stephanie, a. a. O., S. 216 ff. dürfte auf der eigenhändigen Abschrift des Kronprinzen beruhen, die ebenfalls 1955 in Berlin verkauft wurde. Das Original des Testaments liegt im Archiv des Obersthofmarschallamtes, Sonder­reihe III/102, der Verlassenschaftsakt in III/108, alle im Haus-, Hof- und Staats­archiv, Wien. 31) Wiener Sonn- und Montags-Zeitung, 70. Jg. Nr. 7 vom 15. Februar 1933.

Next

/
Thumbnails
Contents