Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)
NECK, Rudolf: Über die Abschiedsbriefe des Kronprinzen Rudolf
496 Miszellen Obwohl zumindest seit dem großen Werk von Mitis 4 *) — vor allem dank der darin zum ersten Mal veröffentlichten Hoyos-Denkschrift — das Faktum des Selbstmordes m. E. hinlänglich gesichert ist, werden immer wieder Zweifel laut6). Der beste Beweis für einen Selbstmord liegt in dem Vorhandensein von Abschiedsbriefen. Daß solche Vorlagen, wurde bald nach der Tragödie bekannt. Über die Zahl der Abschiedsbriefe ist man sich allerdings bis heute nicht im klaren. Von Mary Vetsera weiß man, daß sie an ihre Mutter und an ihre Geschwister solche Briefe geschrieben hat6). Ebenso ist von ihr der Brief an den Prinzen Miguel Braganza mit dem berühmten Zusatz Rudolfs bekannt7). Diese Briefe dürften alle in der Todesnacht geschrieben worden sein 8) und wurden in einem von Rudolf beschriebenen Briefumschlag auf dem Schauplatz der Tragödie gefunden9 10). Außerdem existierte vermutlich noch ein Abschiedsbrief an die Gräfin Larisch, den diese neben dem Abschiedsbillett im Fiaker nach der Flucht Marys gefunden haben will19). Ob es derselbe ist, dessen Text wir aus den Memoiren der Gräfin kennen, ist ungewiß11). Wahrscheinlich handelt es sich hiebei um einen weiteren Brief Marys; die Behauptung Gorups, daß alle Briefe Marys vernichtet wurden und nur ein Brief an die Larisch erst nach drei Wochen zugestellt wurde, dürfte nicht ganz zutreffen 12). Es ist vielmehr ziemlich sicher, daß den Weisungen des Kronprinzen in seinem Zettel an Loschek, die Briefe Marys ihrer Mutter zuzustellen, Folge geleistet wurde13). Mit diesem Zettel, der den Anstoß zur Abfassung der Hoyos-Denkschrift gab, sind wir bei den Abschiedsbriefen des Kronprinzen selbst angelangt. Außer diesem Zettel an seinen Kammerdiener lag offen im Sterbezimmer noch ein Telegramm, wahrscheinlich an den Prior von Heiligenkreuz 14 *), in dem Rudolf um ein Begräbnis an der Seite Marys bat. Ferner wurden noch 5 oder 6 Abschiedsbriefe des Kronprinzen im Sterbezimmer von der Hofkommission gefunden16). 4) Oskar Freiherr v. Mitis, Das Leben des Kronprinzen Rudolf. Leipzig 1928. 6) So jetzt wieder in der seriösen Untersuchung von Albert E. J. Hollaender, Streiflichter auf die Kronprinzen-Tragödie von Mayerling (Festschrift für Heinrich Benedikt, Wien 1957, S. 135 ff.). fl) Ernst Edler von der Planitz, Die volle Wahrheit über den Tod des Kronprinzen Rudolf von Österreich, Berlin o. J. S. 105 ff. vergl. auch s. 167 ff. 7) Richard Barkley, The Road to Mayerling. London 1958, S. 259 ff. 8) A. a. O., S. 299. 8) Das Mayerling-Original S. 202 f. 10) G. A. Borgese, La Tragédia di Mayerling. Mailand 1925, S. 186, Das Mayerling-Original S. 11 ff., 46 f. 11) Countess Maria Larisch, My Past. London 1913, S. 275. 12) Vergl. Viktor Bibi, Kronprinz Rudolf, Die Tragödie eines sinkenden Reiches. Leipzig 1938, S. 145 f. ls) Corti-Sokol, a. a. 0., S. 125. 14) Egon Caesar Conte Corti, Elisabeth. „Die seltsame Frau.“ 32. Aufl., Wien 1950, S. 421 f. Corti konnte bekanntlich den Nachlaß der Erzherzogin Marie Valerie benützen. Die Angabe bei Carl Lonyay, Rudolph, the Tragedy of Mayerling, New York 1949, S. 195, daß das Telegramm an den Papst gerichtet war, ist unwahrscheinlich. 16) Mitis, a. a. O., S. 393. E. Urbas, Kronprinz Rudolf (Preußische Jahrbücher 215. Bd., 1929, S. 16 f.) und im Rheinischen Merkur Nr. 48 vom 25. No-