Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)
NECK, Rudolf: Über die Abschiedsbriefe des Kronprinzen Rudolf
MISZELLEN Über die Abschiedsbriefe des Kronprinzen Rudolf. Von Rudolf Neck (Wien). Durch das Auftauchen des sogenannten Krauß-Aktes vor einigen Jahren ist das Interesse der Öffentlichkeit an dem rätselhaften Ende des einzigen Sohnes und Erben Franz Josefs wieder besonders rege geworden. Allerdings hat sich seit den Jännertagen des Jahres 1889 die Phantasie einer sensationslüsternen Publizistik immer wieder mit den skandalösen Vorfällen in Mayerling beschäftigt, so daß es für die seriöse Forschung bald schwierig wurde, die Fülle der Veröffentlichungen zu überblicken und aus dem dichten Gewirr der üppig wuchernden Legenden, amtlichen Verdrehungen und höfischen Entstellungen die wenigen gesicherten Fakten festzustellen. Immerhin stellt die Mayerling-Frage den Forscher nicht nur vor eine methodisch interessante Aufgabe. Der Tod des Kronprinzen Rudolf hat auch noch allgemeine, über die historisch letzten Endes belanglosen Seiten hinausgehende Aspekte. Es ist irgendwie als ein Symptom zu werten, daß der hochbegabte Erbe dieses großen Reiches freiwillig aus dem Leben schied, und der Rat in seinem Abschiedsbrief an seine Schwester Valerie, nach dem Tode des Kaisers auszuwandern, da nicht abzusehen sei, was dann in Österreich geschehen werde, muß diesen Eindruck nur stärken1). Unter den vielfältigen Motiven müssen mehr als bisher auch die aktuellen politischen Zusammenhänge, die mit zu dem Drama von Mayerling geführt haben, untersucht werden. Zunächst gilt es, auf Grund des sehr spärlichen authentischen Materials alle noch ungeklärten Fakten und Momente möglichst zu erhellen. Der Krauß-Akt, der vorläufig nur unzulänglich veröffentlicht ist'2), wurde bisher kaum auf seinen tatsächlichen Quellenwert untersucht. Dieser dürfte — wenn man von dem üblichen Konfidenten- Tratsch absieht — bedeutend genug sein. Die dringendste Aufgabe aber ist es, wie vor kurzem sehr richtig bemerkt wurde3), daß das unbekannte Material der ernsten Geschichtsforschung überantwortet wird. Diesem Zweck dient die vorliegende Veröffentlichung. 1) Egon Cäsar Conte Corti-Hans Sokol, Der alte Kaiser. Graz 1955, S. 135. 2) Das Mayerling-Original. Offizieller Akt des k. k. Polizeipräsidiums. Wien 1955. 3) Albert E. J. Hollaender in der Festschrift für Heinrich Benedikt, Wien 1957, S. 155.