Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Der Ministerrat und die kaiserlichen Verordnungen vom 18. und 23. April 1850

480 Erika Weinzierl-Fischer Außerdem könne der derzeit wirklich bedauerliche Zustand der Geistlich­keit nur durch die Wiederherstellung' der geistlichen Gerichtsbarkeit ge­bessert werden. Im Interesse dieser Besserung könne man „eine vorüber­gehende Aufregung im Publikum“ ruhig in Kauf nehmen. Dafür, daß einzelne, sicher vorkommende Mißgriffe in der Ausübung der geistlichen Gerichtsbarkeit seltene Ausnahmen bleiben werden, garantiere der Geist, der den Episkopat beseele. Den Ausführungen Thuns stimmten Schwarzenberg, Bach, Schmerling und Kühner zu, sodaß der Antrag des Unterrichtsministers eine Mehrheit von einer Stimme erreichte. Thuns Antrag über die kirchlichen Begräbnis­feierlichkeiten 64) wurde dagegen von allen anderen Kabinettsmitgliedern abgelehnt65). Auch den weiteren Formulierungen, die Thun in der Fort­setzung der Beratung am 26. Februar beantragte66), ging es nicht besser. Josephinistische Tendenzen kamen immer stärker zum Ausdruck und alles, was man aus dieser Gesinnung heraus nicht gewähren wollte, sollte auf Beschluß der Mehrheit „im Konkordat erst definitiv nominirt werden“. Bach fand es „bedenklich, den Staat kurzweg der Disziplinargewalt über die Kuratgeistlidhkeit und des Investitursrechts zu entäußem“. Und der Finanzminister, „hiemit völlig einverstanden“, erklärte, „er könne die Bemerkung nicht unterdrücken, daß in den zur Sprache gekommenen Vor­schlägen die Tendenz liege, die Exekutivgewalt des Staates zu schwächen, während das allgemeine Beßte, jetzt mehr als je, eine kräftige Exekutivgewalt erfordert, um den Agitationen und Tren­nungsgelüsten aller Art mit Erfolg zu widerstehen“. Man beschloß daher mit Stimmenmehrheit, § 3 mit dem Wort „suspendieren“ zu beenden, § 4 ganz zu streichen und dafür ein Zustimmungsrecht des Staates geltend zu machen67). 64) „Über die kirchlichen Feierlichkeiten des Begräbnißes hat nur die geistliche Behörde zu verfügen. Die Beerdigung ohne kirchliche Feierlichkeit kann von der weltlichen Behörde angeordnet und verfügt werden.“ M. R. Prot, vom 23. II. I860. e5) Eine solche ausdrückliche Bestimmung könne nicht erlassen werden, „indem dieselbe zum Theil eine stillschweigende Konsequenz aus dem ersten Absatz in Bezug auf die Kirchenstrafen ist — und der Staat sich aus politi­schen und polizeilichen Rücksichten andererseits doch nicht des positiven Einflußes auf die Beerdigungen begeben könne.“ Ebendort. 66) „§ 3. Der geistlichen Gewalt steht das Recht zu, jene welche die Kirchenämter nicht der übernommenen Verpflichtung gemäß verwalten, in der durch das Kirchengesetz bestimmten Form zu suspendiren oder abzu­setzen und sie der mit dem Amte verbundenen Einkünfte verlustig zu erklä­ren. § 4. Zur Durchführung des Erkenntnißes kann die Mitwirkung der Staats­behörde in Anspruch genommen werden, wenn der ordnungsmäßige Vorgang der geistlichen Behörde durch Mittheilung der Untersuchungsakten nachgewiesen wird.“ M. R. Prot, vom 26. II. 1850. 67) „Die Entsetzung vom Amte und der Verlust des damit verbundenen Einkommens kann nur im Einverständniße mit der Staatsgewalt verfügt wer­den.“ Ebendort.

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