Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Der Ministerrat und die kaiserlichen Verordnungen vom 18. und 23. April 1850
Der Ministerrat und die kaiserlichen Verordnungen vom 18. u. 23. April 1850 479 Übergriffen des Klerus gewähre. Doch schließlich einigten sich Schmerling, Thinnfeld, Kühner, Gyulay und Thun auf eine von Bach vorgeschlagene Textierung des umstrittenen Punktes 5B). Am 23. Februar beriet der Ministerrat die von Thun beantragte Formulierung der Verordnung über die geistliche Gerichtsbarkeit* 60). Aber schon der erste Minister, der sich zu Wort meldete, Baron Krauß, nahm ausführlich und entschieden dagegen Stellung, „dem Klerus schon jetzt das Recht zur Verhängung von Kirchenstrafen unabhängig von den Behörden zuzuerkennen“ 61). Bruck, Thinnfeld und Gyulay schlossen sich der Meinung des Finanzministers an, wobei Thinnfeld sich ausdrücklich auf die von Joseph II. getroffenen Maßnahmen berief62). Auf den von Krauß vorgebrachten Antrag, die Frage der geistlichen Gerichtsbarkeit durch das künftige Konkordat zu lösen63), entgegnete Thun, daß er die freie Ausübung der geistlichen Gerichtsbarkeit nicht als eine Konzession an Rom betrachte, „sondern als eine nothwendige Folge der Befreiung der katholischen Kirche“. Man könne die Rechte des katholischen Klerus nicht stärker beschneiden als jene des protestantischen. 5<J) „Die katholischen Bischöfe sind nicht weiter verpflichtet, zur Erlassung von Ermahnungen und Anordnungen, welche sie über Gegenstände ihrer Amtsgewalt und innerlich der Gränzen derselben, an ihren Klerus und ihre Gemeinden erlassen, eine vorläufige Bewilligung der Staatsbehörde einzuholen“. M. R. Prot, vom 20. I. 1850. 60) „Der Kirchengewalt steht es zu, unabhängig von den Staatsbehörden Kirchenstrafen, welche eine Rückwirkung auf bürgerliche Rechte nicht üben, zu verhängen, insbesondere Kirchenglieder, welche die ihnen als solche obliegenden Verpflichtungen verletzen, ganz oder theilweise von dem Genüße der kirchlichen Wohlthaten auszuschließen.“ M. R. Prot, vom 23. II. 1850. 61) Der Minister führte weiter aus: „Dieß dürfte vielmehr den Gegenstand des Konkordats mit Rom bilden. Die obige Beschränkung auf jene Kirchenstrafen, welche keine Rückwirkung auf bürgerliche Rechte üben, lasse noch immer den Bischöfen die Freiheit, Kirchenstrafen zu verhängen, die viele sehr bedenkliche äußere Wirkungen für den Bestraften nach sich ziehe. Die Exkommunikation ist eine furchtbare Waffe, die nur zu oft zu ganz andern als kirchlichen Zwecken mißbraucht worden ist. Wer kann wissen, ob man sich nicht der Kirchenstrafen zu politischen Partheizwecken bedienen wird, wenn sie einmal ganz in den Händen des Episkopats liegt? Es ist bekannt, wie sehr manche galizische Bischöfe die dermalige, beschränktere Kirchengewalt zur Förderung des revolutionären Treibens und zur Unterdrückung der gutgesinnten Kleriker und L a y e n mißbraucht haben. Was läßt sich von diesen Bischöfen, so wie von manchen andern ungarischen und italienischen Kirchenfürsten erst erwarten, wenn ihre Macht so sehr erweitert seyn wird; zumal die Regierung nur wenig Mittel hat, ihnen entgegenzutreten“. Ebendort. 82) „Der Minister Ritter von Thinnfeld fände es ebenfalls sehr bedenklich, der Kirchengewalt das ihr durch S. M. Kaiser Joseph II. entzogene Recht zur Verhängung von Kirchenstrafen wieder einzuräumen. Die Geschichte sei voll von den Mißbräuchen, welche Papst und Bischöfe mit der Exkommunikation getrieben. Wolle man die ärgerlichen Szenen von damals, nach 70jähriger Unterbrechung, wieder hervorrufen?“ Ebendort. 63) Siehe Anm. 61.