Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)

WEINZIERL-FISCHER, Erika: Der Ministerrat und die kaiserlichen Verordnungen vom 18. und 23. April 1850

Der Ministerrat und die kaiserlichen Verordnungen vom 18. u. 23. April 1850 477 frühere Verträge oder das Herkommen geregelt war“ 52). Er redete viel­mehr einer einfachen Aufhebung aller dem Kirchenrecht widersprechenden, seit einem Jahrhundert erlassenen Verordnungen aus eigener Machtvoll­kommenheit des Staates das Wort. Dieser Beweis, wie sehr überkommene Vorstellungen von den Rechten des Landesfürsten in Kirchensachen die Anschauung selbst überzeugter Antijosephiner geprägt hatten, muß Thun klar gemacht haben, mit wel­chen Schwierigkeiten die Beseitigung der josephinischen Maximen ver­bunden sein werde. Denn in dem vom Ministerrat gewünschten Referat, das Thun dem Kabinett am 19. Februar vorlegte53), stellte er sich — wohl unter dem Einfluß Beidtels — wieder ganz auf den Standpunkt, daß das Placet aufgehoben werden solle. Doch betonte er zu Beginn seiner Aus­führungen nachdrücklich, daß es nicht möglich und „nicht einmal wün- schenswerth“ wäre, die Umgestaltung des ganzen österreichischen Kirchen- rechtes, die für die Erfüllung der Wünsche der Bischöfe notwendig sei, „im Wege der Gesetzgebung mit einem Male“ durchzuführen. Es wären daher zunächst der freie Verkehr der Bischöfe mit Rom und mit ihren Gemeinden, die Wiederherstellung der geistlichen Gerichtsbarkeit und der Verkehr der geistlichen Orden mit ihren auswärtigen Generalen und Gene­ralkapiteln zu genehmigen. Über alles weitere müßten Verhandlungen mit dem Papst und dem bischöflichen Komitee geführt werden. Das Wort „Konkordat“ kam in dem zwei Tage nach der ersten langen Unterredung Thuns mit Beidtel erstatteten Referat des Ministers nicht vor. Nachdem Thun sein Referat verlesen hatte, berieten die Minister zunächst, ob man einzelne Punkte der bischöflichen Eingaben im Verord­nungswege regeln, oder „das Ganze einem Concordate mit dem päpstlichen Stuhle oder der Gesetzgebung für alle Religionsgesellschaften“ Vorbehalten solle54). Mit Stimmenmehrheit wurde schließlich entschieden, die wichtig­sten Punkte in dem künftigen Konkordat zu behandeln und die weniger wichtigen, die man den Bischöfen auf Grund der Verfassung „nicht wohl“ verweigern könne, im Verordnungsweg zu bereinigen 55). Nur der Minister für Landeskultur Thinnfeld wollte alle Fragen dem Konkordat überlassen, da ihm der ganze Komplex so wichtig erschien, daß er dessen Zerreißung ablehnte. Am nächsten Tag wurden die Beratungen an Hand des Thunschen Referates fortgesetzt. Aber schon die erste von Thun vorgeschlagene Be­s2) Beidtel-Huber, a. a. O., S. XLVI. 5S) Lithographierte Beilage zum M. R. Prot, vom 19. II. 1850. Der Inhalt ist auszugsweise bei Hussarek, a. a. O., S. 518, Anm. 141 wiedergegeben. Der gesamte Text des Dokumentes findet sich im Anhang, Beilage I. M) M. R. Prot, vom 19. II. 1850. Erwähnt bei Hussarek, a. a. 0., S. 510, Anm. 125. 55) M. R. Prot, vom 19. II. 1850. Erwähnt bei Hussarek, a. a. O., S. 515, Anm. 132.

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