Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 11. (1958)

HRAZKY, Josef: Johann Christoph Bartenstein, der Staatsmann und Erzieher

Johann Christoph Bartenstein, der Staatsmann und Erzieher 229 lichkeit stellte ihm vor, wie lächerlich er vor sich selber würde, wenn er seine Zukunft der Treue zu einem Bekenntnis aufopferte, das schon lang nicht mehr das seine war; auf der andern Seite, wie entehrend der Anschein wäre, als verkaufe er seine Überzeugung für eine Karriere. Beides, das fühlte er, Don Quichoterie und Streberei, waren unwahr und seinem geraden Wesen fremd, aber wer würde ihn verstehen? Die Seinen in Straßburg nicht. So quälte er sich während seiner langen Reise durch Deutschland, ohne zu einer Entscheidung zu kommen. Das achtungsvolle Schweigen seines getreuesten Freundes in Hamburg muß ihn getröstet haben, daß wenigstens einer seine Not empfand. Schließlich zog er sich auf das tiefste Fundament seines Glaubens zurück: Gott war die Wahrheit und durch seine Gnade werde er ihm die wahre Lehre offenbaren; der Gnade Gottes müsse er alles anheim geben. Etwas von der Überzeugung Descartes’ lebte in ihm, Gott lasse keinen, dem es ehrlich um die Wahrheit und um nichts anderes zu tun sei, in einem Irrtum verharren. Mit diesem tröstlichen Gedanken kehrte er zu Ende des Sommers 1715 in die Heimat zurück. Nun waren mehr als drei Jahre vergangen, seit er mit überschwänglichen Hoffnungen nach Paris gezogen war, Unendliches hatte er gelernt und unermüdlich für eine große Laufbahn gearbeitet, war aber darum doch dem ersehnten Beruf nicht näher gekommen. Zunächst blieb nur die Aussicht auf eine Wirk­samkeit als Anwalt für Bekannte. Da mag er gedacht haben: „Sie sollen mich erst einmal arbeiten sehn, dann werden sie mich schon nicht ziehen lassen.“ Und so trat er seine zweite Wiener Fahrt, diesmal allein, im Herbst 1715 an. In Wien wird er nun wohl gelegentlich mit politischen Aufträgen befaßt, aber diese Propagandatätigkeit ist schlecht honoriert und er fühlt sich von Mißtrauen umgeben, so daß er gar nicht mehr wagt, nach Frankreich zu schreiben. Eine feste Anstellung liegt noch immer in unbestimmter Ferne. In den Briefen, die Widow und Leibniz im Jahre 1716 wechseln, drückt sich die Spannung aus, mit der beide Männer das weitere Schicksal des gemeinsamen Bekannten verfolgen. Bei Widow mischt sich ein Bangen um die Gewissensruhe des Freundes hinein. Denn während der Vater und die Verwandten daheim nichts ahnen, weiß der Freund von einem Ratstitel und einem Gehalt zu berich­ten, die Bartenstein für glänzende Leistungen erhalten habe, allerdings insgeheim, da er nicht dem herrschenden Glauben angehöre. Leibniz ist sicher, daß der vielversprechende junge Mann noch Großes erreichen werde 22). Fast sieht es so aus, als hätte der Straßburger seinem Freund gegen­über einen Wunschtraum als Faktum ausgegeben. Aber immer häufiger werden die Gerüchte von dem bevorstehenden Übertritt, so daß der Freund im November 1716 ihre Grundlosigkeit kaum mehr zu hoffen 22) Die Darstellung folgt Braubach, a. a. 0., S. 131, 134, 135.

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