Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 10. (1957)

Dritter Österreichischer Archivtag am 22. September 1956 in Klagenfurt

Österreich 405 weise oder bleibend verringert werden dürfe18). Nichtsdestoweniger war der Stand zwanzig Jahre später auf vier herabgesunken und heute zählt das ver­einigte Finanz- und Hofkammerarchiv zwei Beamte des höheren Dienstes. Es nimmt daher nicht wunder, daß ein Großteil des Tages vom Archivar Kenntnisse erfordert, die ihm eigentlich nie planmäßig beigebracht wurden, sondern die er sich irgendwie nach und nach aneignen mußte, weil sich ihre Wichtigkeit heraus­stellte: Was dem wissenschaftlichen Archivar lange vom mittleren Beamten ab­genommen wurde, muß er jetzt größtenteils selbst erledigen. Dennoch erscheint es nicht möglich, auf Grund solcher Neu- und Mehrbean­spruchung darauf zu schließen, daß sich der Archivar aus dem Historiker aus- gliedem wolle, oder in ihm nur den Übernehmer, Verwalter und Erschließer der Quellen zu sehen und damit ein Entweder-Oder in ihn hinein zu projizieren. Wennzwar es naturgemäß auch hier Kanzlei- und Gelehrtentypen gibt, so hat doch jeder für sich, wo immer seine Hauptinteressen oder -fähigkeiten liegen, zu trachten, auf beiden Gebieten auf dem Laufenden zu bleiben. Der Archivar wird ebenso die geschichtliche Literatur wie die speziell der Archivistik gewid­meten Aufsätze verfolgen und er wird sowohl Historiker- wie Archivtagungen besuchen müssen, um den lebendigen Kontakt mit seinen Disziplinen und, was beinahe noch wertvoller ist, die Verbindung mit seinen Fachkollegen nicht ein­zubüßen. Im übrigen sind es nicht die schlechtesten Historiker gewesen, die aus einem Archiv an eine Universität gingen oder aber dort verblieben: Ich erwähne von den ersteren nur Otto Brunner, Friedrich Meinecke, Oswald Redlich, Leo Santifaller, von den letzteren Alfred von Arneth, Albert Brackmann, Paul Fri­dolin Kehr, Heinrich Kretschmayr und Oskar Freiherrn von Mitis. Deshalb muß immer wieder betont werden, daß der Historiker, der die archivalische Laufbahn einschlägt, niemals vergißt oder verlernt, ein Mann der Wissenschaft zu sein und daß wahre Berufung nie vom erwählten Beruf aufgesogen werden kann, vor allem dann nicht, wenn beide einander wahlverwandt sind 19). 4. „Forschungsfragen der Archivwissenschaft und der Urkunden­und Aktenlehre.“ Referent: Univ.-Prof. Dr. H. 0. Me is n er (Potsdam). 1. Dürfen wir heute von einer „Archivwissenschaft“ sprechen? Unter Bezug­nahme auf die Ausführungen von W. Leesch in der Festschrift „Archivar und Historiker“ und auf den ausländischen Sprachgebrauch wurde die Frage bejaht. 18) Grillparzers Werke a.a.O., S. 218 ff., Nr. 112. 19) Vgl. zuletzt, freilich von einer anderen Warte aus, über das Verhältnis von Archivar und Historiker die sehr ansprechenden Erinnerungen von Willy Andreas, von denen ein Teil „Lehrjahre eines jungen Historikers in Karlsruhe (1908—1912)“ in: Badische Heimat. 33. 1953, S. 6 ff., erschienen ist, und beson­ders Hellmut Kretzschmar, Archive und Heimatforschung, in: Archivarbeit und Geschichtsforschung (Schriftenreihe des Instituts für Ärchivwissenschaft 2). 1952, S. 57: „Die viel belächelten Spitzwegtypen haben zu keiner Zeit den rech­ten Archivar dargestellt, allerdings muß in diesem Zusammenhang aber auch betont werden, daß der Beruf des Archivars einer zu weitgehenden Normali­sierung widerstrebt. Der patentierte Einheitstyp des Archivars ist weder damals noch heute als Ideal aufgestellt oder gar verwirklicht worden. In dem Neben­einander der Betätigung auf wissenschaftlichem wie auf praktischem Gebiete wirkte und wirkt der Archivar bis auf unsere Tage“, dazu auch Georg Wilhelm Sante, Die Archive zwischen Verwaltung und Wissenschaft, in: Der Archivar. 7. 1954, Sp. 1—12, und die Festschrift zum 65. Geburtstag von Heinrich Otto Meisner: Archivar und Historiker. Studien zur Archiv- und Geschichtswissen­schaft. 1956 (Nr. 7 der Schriftenreihe der Staatlichen Archivverwaltung), hier S. 7: „Archivar und Historiker haben für ihre berufliche Tätigkeit den gleichen Ausgangspunkt und denselben Weg zu einem gemeinsamen Ziel: die Erkenntnis der historischen Vergangenheit auf der Grundlage ihrer Quellenzeugnisse .. . So wird der gute Historiker in gewissem Sinne auch Archivar sein müssen, und der Archivar kann, ohne Historiker zu sein, keine wirklich fruchtbare Arbeit leisten“ (Einleitung).

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