Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 10. (1957)

Dritter Österreichischer Archivtag am 22. September 1956 in Klagenfurt

406 Archivberichte 2. Welches ist der Umfang dieser „Archivwissenschaft“ ? Nach Ansicht des Referenten umfaßt sie Archivtheorie, Archivgeschichte, Archivrecht, wissen­schaftliche Archivtechnik und (als angewandte Archivwissenschaft) Archivver­waltungspraxis (vgl. Grundzüge einer deutschen Archivterminologie, Beilage zu: Archivmitteilungen V, Heft 4, 1955). Die sog. historischen Hilfswissenschaften oder gar Rechts- und Verfassungsgeschichte, Verwaltungs- und Behörden­geschichte, Wirtschafts- und Behördengeschichte (vgl. Archivmitteilungen 1953, S. 42 ff.) fallen nicht unter den Begriff Archivwissenschaft. Jene sind allerdings auch Archivhilfswissenschaften, aber spezifische Archivwissenschaft kann nur das sein, was diese nicht mit anderen Wissenschaften teilt, was nur sie allein angeht. Auch zu dieser These wurde auf die übereinstimmende Ansicht ausländischer Archivtheoretiker verwiesen. 3. Statt zwischen Urkundenlehre des Mittelalters und Aktenkunde der Neu­zeit zu unterscheiden, sollte man die beiden Schwesterdisziplinen unter dem Be­griff „Urkunden- und Aktenlehre des Mittelalters und der Neuzeit“ zusammen­fassen, da der Begriff Akten so wenig auf die jüngere Zeit beschränkt werden kann wie der Begriff Urkunden auf die ältere. 4. Unter Hauptarchivalien sind Urkunden, Akten und Briefe zu verstehen. Die sog. Amts- oder besser Geschäftsbücher können nicht als eine besondere Gattung der (Haupt-) Archivalien angesprochen werden, da es sich bei ihnen ihrem Wesen nach entweder um Akten oder um Urkunden (u. U. um beides) handelt. Die Tatsache ihrer formalen Besonderheit (des „Strukturunterschiedes“, J. Papritz, A.Z. 52, S. 137) wird natürlich nicht bestritten. Vgl. auch A. v. Brandt in: Archivar und Historiker, S. 433 ff. — Die Stelle der Geschäftsbücher in der Trias Hauptarchivalien gebührt nach Ansicht des Referenten den Briefen, d. h. den echten Briefen, die aus einer anderen Welt kommen als Urkunden und Akten und die als „drittes Geschlecht“ neben diesen umsomehr anerkannt werden müssen, da wir neuerdings mit guten Gründen das Merkmal des Archivgutes, die Registraturfähigkeit, als konstitutiv auch für die literarischen Nachlässe bezeichnen. 5. Eine Untersuchung des Ursprungs des Begriffs und der Begriffsbezeich­nung „Kanzleischreiben“ in Verbindung mit dem Problem der alten „Kanzlei­regierung“ wäre erwünscht, handelt es sich doch um einen Schriftstücktypus, der bis ins 20. Jh. hinein als Form der Gesetzesurkunden und der Staatsvertrags­sanktionen eine hervorragende Rolle gespielt hat. 6. Ebenso sollte die aktenkundliche Forschung dem Begriff des „Protokoll­extraktes“, auf dessen Ursprung aus Österreich K. Dülfer in: Der Archivar IV. Jg. (1951) Sp. 42, hingewiesen hat, ihre Aufmerksamkeit schenken. 5. Archivterminologie. Referent: Staatsarchivar 1. Kl. Univ.-Doz. Dr. Walter Gold inger (Wien). Der Referent sprach über das Problem der Archivterminologie und trat dafür ein, daß trotz der Notwendigkeit einer allgemein anerkannten Archivterminologie doch die provinzielle Dialektik der landschaftlichen Archive nicht verloren gehen dürfe. Das Referat wird 1959 in der Archivalischen Zeitschrift erscheinen. 6. Unser Archivwesen im Wandel von Staat und Gesellschaft. Referent: Landesarchivdirektor Univ.-Doz. Dr. Alfred Hoffmann (Linz). Was zunächst den Staat betrifft, so zeigen sich bei seinem Behördenapparat als wichtigste Entwicklungstendenzen die Ausweitung des Wirkungsbereiches, eine zunehmende Spezialisierung und innere Zersplitterung. Für die Archive ergeben sich daraus die Probleme der Bewältigung gigantisch anwachsender Aktenmassen, des Widerstandes einer Berücksichtigung der historischen Inter­essen und die Schwierigkeit, sich selbst mit dem erweiterten Aufgabenbereich hinreichend vertraut zu machen. Eine Abhilfe könnte durch längeres Praktizieren

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