Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 10. (1957)
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Bismarcks Haltung zum Vatikanum und der Beginn des Kulturkampfes nach den österreichischen diplomatischen Berichten aus Berlin 1869–1871
308 Erika Weinzierl-Fischer er ja genauestens orientiert war. Als das eigentliche offiziöse Organ der Regierung, die Norddeutsche Allgemeine Zeitung, die Depesche als entschiedenes Auftreten Beusts gegen die Kurie wertete, sagte Bismarck zu seinem amtlichen Verbindungsmann zur Presse, Dr. Moritz Busch, am 11. März wörtlich: „Das muß widerlegt werden — abgeschwächt.“ Busch sollte in einer römischen Korrespondenz für die „Kölnische Zeitung“ erklären, daß man nicht wisse, ob die zuerst von der „Times“ gebrachte Analyse der Depesche richtig sei. Doch habe man allen Grund, daran zu zweifeln. Der österreichische Gesandte in Rom habe gar keine Note verlesen, auch keinen Auftrag zu einer bestimmten Erklärung gehabt. Man wisse, daß er sehr kirchlich gesinnt und nichts weniger als radikal sei. Es werde sein Auftreten also durchaus nicht entschieden gewesen sein32). Diese Nachricht war offenbar für die Infallibilitäts- gegner unter den süddeutschen Katholiken bestimmt, bei denen nicht der Eindruck entstehen sollte, daß Österreich eine Initiative in ihrem Sinn ergriffen hätte. Dagegen mußte Wimpffen am 12. März berichten33), daß der offizielle Schritt des Grafen Daru 34) in Berlin großes Aufsehen errege. Doch sagte Staatssekretär Thile dem österreichischen Gesandten, Bismarck erwarte nicht viel von der Mäßigung Roms, setze „aber seine größten Hoffnungen noch immer auf die beinahe unanime Haltung des österreichisch-ungarischen Episkopats und auf die gewichtige Stimme der Regierung des Apostolischen Monarchen“. Der Widerspruch zwischen der lebhaften, sich „in ostensibler Weise“ äußernden Anteilnahme Bismarcks an der Konzilsfrage und der Tatsache, daß er sich politisch jeder Einflußnahme auf die Beschlüsse der Kurie enthielt, veranlaßte Wimpffen am gleichen Tage zu einem weiteren, vertraulichen Bericht an Beust35). Er habe lange vergebens nach den eigentlichen Motiven dieser Haltung des Bundeskanzlers gesucht, aber nun glaube er sich nach Anhaltspunkten, die auf Äußerungen Bismarcks zu Vertrauenspersonen beruhen, zu der Meinung berechtigt, daß dieser „mit allem, was in Rom geschieht, sehr zufrieden ist und daraus für seine Politik nur Nutzen zu ziehen hofft. Weicht die Kurie unter dem Druck der katholischen Mächte, so hofft Graf Bismarck, wegen seiner Enthaltsamkeit und Reserve, in der Gunst von Rom noch zu steigen und gegenüber den Katholiken in Deutschland, besonders in Süddeutschland, 32) Moritz Busch, Tagebuchblätter, Leipzig 1899, S. 14. 33) 12. März 1870. P.A. III, Kart. 101, Nr. 27 B. 34) Die Depesche Darus an Antonelli vom 20. Februar, die Anfang März in die Hände des Staatssekretärs gelangte. Granderath a.a.O. II, S. 692 ff. — Diese Depesche ließ Bismarck allerdings in „entfernten Journalen“ ebenso diskreditieren wie die Beusts. Busch a.a.O. I, S. 15. 35) 12. März 1870. P.A. III, Kart. 101, Nr. 27 C, Vertraulich. In Auszügen bei Schmidt a.a.O. S. 337.