Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 10. (1957)
WEINZIERL-FISCHER, Erika: Bismarcks Haltung zum Vatikanum und der Beginn des Kulturkampfes nach den österreichischen diplomatischen Berichten aus Berlin 1869–1871
Bismarcks Haltung zum Vatikanum und der Beginn des Kulturkampfes 303 marck offensichtlich so lange zurückhaltend sein werde, bis ihm die Meinung der anderen beteiligten Mächte bekannt sei4). Den Einfluß der Nachricht, daß Bismarck von sich aus in der Konzilsfrage nicht die Initiative ergreifen werde, auf den protestantischen Sachsen Beust beweist ein Passus in dessen Depesche vom 15. Mai 1869 an den österreichisch-ungarischen Gesandten in München, Graf Ingelheim, mit der er den Mißerfolg der Anregung Hohenlohes entschied5). Beust wies in seiner Ablehnung auch nur des Scheines „einer beabsichtigten Kontrolle und Beschränkung der Freiheit der katholischen Kirche“ ausdrücklich darauf hin, daß sich — soweit ihm bis jetzt bekannt — keine derjenigen Mächte, von denen der Grundsatz der Unabhängigkeit der Kirche am vollständigsten anerkannt worden sei, Besorgnisse über mögliche Beschlüsse des kommenden Konzils gemacht oder abwehrende Gegenmaßregeln vorbereitet habe 6). Bismarck hat zwei Jahre später die Meinung vertreten, Beust habe lediglich aus gekränkter Eitelkeit so gehandelt. Er habe es nicht ertragen, daß Hohenlohe einen Kollektivschritt zustande bringe, der nicht seiner Initiative entsprungen sei7). In einem ähnlichen Sinn hatte sich der Münchner Nuntius Meglia schon im Mai 1869 in einem Schreiben an Kardinal-Staatssekretär Antonelli ausgesprochen. Das Zirkular Hohenlohes habe Erstaunen erregt, weil Bayern sich eine solche Bedeutung geben möchte, daß es bei den großen Höfen, besonders aber bei Österreich und Frankreich, in einer so wichtigen Frage die Initiative ergreifen wolle8). Da Frankreich es ebenfalls nicht mit seinem Prestige vereinbar gefunden hatte, die Anregung eines Mittelstaates zu berücksichtigen9), hat also möglicherweise Bismarck, der Angstgegner Beusts, indirekt den Ausschlag für das Scheitern des Hohenloheschen Projektes gegeben 10). Von der österreichisch-ungarischen Gesandtschaft in Berlin berichtete zu diesem Thema erst wieder im Juli 1869 Legationsrat Münch4) Bericht Nr. 39 C, Politisches Archiv (= P.A.) III, Fasz. 100. Alle im Folgenden zitierten Akten befinden sich im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien. 5) Hohenlohe-Schillingsfürst a.a.O. I, S. 363. «) Correspondenzen des k. k. gemeinsamen Ministerium des Äußern 3, 1869, Nr. 48, und Friedrich Ferdinand Graf von Beust, Aus drei Viertel-Jahrhunderten, II., Stuttgart 1887, S. 278 ff. 7) Max Hussarek, Die Krise und die Lösung des Konkordates vom 18. August 1855, Archiv für österreichische Geschichte 112, 1932, S. 313, Anm. 175. 8) Theodor Granderath, Geschichte des Vatikanischen Konzils von seiner ersten Ankündigung bis zu seiner Vertagung, 1, Freiburg i. Br. 1903, S. 359. 9) Erich Schmidt, Bismarcks Kampf mit dem politischen Katholizismus, Hamburg 1942, S. 281. 10) Vgl. darüber auch Georg G. Windeil, The Catholics and German Unity, Minneapolis 1954, S. 208 f.