Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 10. (1957)
BLAAS, Richard: Das Kardinalprotektorat der deutschen und der österreichischen Nation im 18. und 19. Jahrhundert
Das Kardinalprotektorat der deutschen und der österr. Nation im 18. u. 19. Jh. 149 1806 erloschenen Sacrum Romanum Imperium für sich in Anspruch genommen und von der Kurie dem Kaiser auch zugebilligt wurde. Die Annahme von J. Wodka, daß „das Länderprotektorat der Kardinäle der Neubildung der kirchenpolitischen Verhältnisse zur Zeit der französischen Revolution und der napoleonischen Wirren zum Opfer gefallen ist“ 4), trifft auf den österreichischen Kaiserstaat nicht zu. Es läßt sich, wie im Folgenden gezeigt werden soll, der Nachweis erbringen, daß das Länderprotektorat mit bewußtem Zurückgreifen auf die alte Institution unter dem vielleicht etwas ungewohnten, aber deshalb um so überzeugender an die alte Form des Reichsprotektorates gemahnenden Namen des „Protectoratus nationis austriacae“ fortgeführt wurde. Der Begriff des Protektorates im Sinne einer Ländervertretung5) tritt zum erstenmal nachweislich zu Anfang des 15. Jh. auf6). Die Institution als solche setzte sich aber erst gegen den Widerstand der Päpste, die für die Unabhängigkeit der Kardinäle bei Übernahme solcher Funktionen Befürchtungen hegten, zu Ende des genannten Jahrhunderts durch und erfuhr ihre eigentliche Ausbildung in der Zeit bis zur Mitte des 16. Jh. Das Länderprotektorat darf als Ausdruck des „Suchens nach neuen zeitbedingten Formen für die weitere Gestaltung des Verhältnisses von Kirche und Staat“ 7) zu Beginn der Neuzeit gewertet werden. Es war in seiner ursprünglichen Sinngebung eine den geänderten neuzeitlichen Verhältnissen Rechnung tragende Interessenvertretung der Länder bei der römischen Kurie, die damals noch eines der Hauptzentren der europäischen Politik war. Den Kardinalprotektoren stand seit der Mitte des 16. Jh. das ausschließliche Recht zu, die Neubesetzungen der Bistümer und Klöster ihrer Länder im Konsistorium zu proponieren und zu referieren. Sie vertraten aber außerdem die kirchlichen Angelegenheiten ihrer Länder im Konsistorium, in den Kardinalskongregationen und Kardinalskommissionen8). Dieser Charakter einer offiziellen Interessenvertretung tritt ganz offen4) J. Wodka a.a.O. S. 1. 5) J. Wodka a.a.O. S. 4 f. Neben dem Länderprotektorat gibt es seit dem ausgehenden Mittelalter auch ein Protektorat von Kardinalen über religiöse Orden, das zum Unterschied vom Länderprotektorat, wenn auch in gewandelter Form, noch heute fortbesteht. Zum Ordensprotektorat vgl. J. Wodka, Deutschordensprotektorat und Protektorat deutscher Nation, in Zeitschrift für Rechtsgeschichte, 65. Bd., kanonistische Abtl. 34, S. 318 ff. 6) J. Wodka a.a.O., Anhang I. Quellen für das Vorkommen eines Länderprotektorates der Kardinäle in den Reformentwürfen des 15.—16. Jh. S. 34 ff. 7) Ebenda S. 11. Die im Folgenden gebotene Darstellung über Funktion und Bedeutung des Länderprotektorates stützt sich ausschließlich auf die von J. Wodka herausgearbeiteten Forschungsergebnisse. 8) J. Wodka a.a.O. S. 1, Anm. 1. Die Tätigkeit der Protektoren in den verschiedenen Dikasterien des kirchlichen Verwaltungsapparates für die Interessen der von ihnen vertretenen Länder verlieh der ganzen Institution ihre eigentliche Bedeutung und bildete für die einzelnen Regierungen erst den Anreiz zur Ernennung von Kardinalprotektoren.