Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 9. (1956)

BENNA, Anna Hedwig: Das Kaisertum Österreich und die römische Liturgie

Das Kaisertum Österreich und die römische Liturgie 133 Karfreitagsgebet81), das von Pius V. im Gegensatz zur Kommemoration des Kaisers im Kanon unverändert in das reformierte Missale übernommen worden war82), überdauerte das Ende des Heiligen Römischen Reiches 1806. Obwohl für die Kaiser von Frankreich und von Österreich83) eigene For­mulare entstanden waren, wurde das Gebet für den Römischen Kaiser aus den Ausgaben der Missalen nicht entfernt. Im Gegenteil, die Ritenkongre­gation ordnete 1860 in einem Dekret an, daß die nicht mehr für den Römischen Kaiser verrichteten Fürbitten am Karfreitag und im prae­conium paschale des Karsamstags unverändert in die Neuausgaben aufzu­nehmen seien84). Die Reform der Karwochenliturgie durch Pius XII. er­setzte die alten Fürbitten des Karfreitags und Karsamstags für den Römischen Kaiser durch Gebete für die Regierungen und die Völker85); dieses neue Formular fand erstmalig in der Karwoche 1956 Anwendung. Die Napoleon III. zugestandenen liturgischen Ehrenrechte dokumen­tierten das gute Einvernehmen, welches zwischen der Kirche und dem französischen Staat in den Fünfzigerjahren herrschte. Darin unterschied sich das Zweite vom Ersten Kaiserreich, aber auch vom ancien régime in Frankreich. Napoleon I. hatte Pius VII. entthront und als Gefangenen nach Fontainebleau gebracht. Napoleon III. hatte Pius IX. die Rückkehr in den Kirchenstaat ermöglicht und den Ausbruch einer Revolution auf dem päpst­lichen Territorium mit Hilfe dort stationierter französischer Truppen ver­hindert. Die Kirche hatte in den ersten Regierungsjahren Napoleons III. Möglichkeiten, sich in Freiheit zu entfalten wie nie zuvor, weder in der Zeit des ancien régime noch im Ersten Kaiserreich. Der Katholizismus schien auf dem besten Weg dazu, Staatsreligion zu werden. Aber die Kirche in Frankreich erfreute sich nicht nur weitestgehender Förderung von seiten des Staates, was von den Zeitgenossen auch anerkannt wurde86), sie ent­81) Hirsch, MIÖG 44, S. 3, Anm. 13. 82) Biehl, a. a. 0., S. 91. 83) Vgl. unten, S. 134, 135 f. 84) Biehl, a. a. O., S. 92. 85) Oremus et pro omnibus res publicas moderantibus, eorumque ministeriis et potestatibus: ut Deus et Dominus noster mentes et corda eorum secundum voluntatem suam dirigat ad nostram perpetuam pacem. Oremus. Flectamus genua. — Levate. Omnipotens sempiterne Deus, in cuius manu sunt omnium potestates et omnium jura populorum: respice benignus ad eos, qui nos in pote­state regunt; ut ubique terrarum, dextera tua protegente, et religionis inte­gritas, et patriae securitas consistat. Per Dominum ... (U. Bomm, Die Meß­feiern der heiligen Karwoche. Die vollständigen Texte Lateinisch-Deutsch nach der Vatikanischen Ausgabe 1956. S. 136). Praeconium paschale ... Respice etiam ad eos, qui nos in potestate regunt, et ineffabili pietatis et misericordiae tuae munere, dirige cogitationes eorum ad justitiam et pacem, ut de terrena opero­sitate ad caelestem patriam perveniant cum omni populo suo. Per eundem Domi­num nostrum... (ebenda, S. 158). 86) Vgl. A. Débidour, Histoire des rapports de l’église et de l’état en Frange de 1789 a 1870 (1898), S. 525—528. F. Mourret, Histoire générale de l’église 8 (1928), 384 f. J. Schmidlin, Papstgeschichte der neuesten Zeit 2 (1934), 122.

Next

/
Thumbnails
Contents