Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs 9. (1956)
BENNA, Anna Hedwig: Das Kaisertum Österreich und die römische Liturgie
134 Anna Hedwig Benna band auch schöpferische Kräfte, die sich in einem intensiven religiösen Leben äußerten. Die Verleihung liturgischer Ehrenrechte an Napoleon III. erfolgte an einen ungesalbten und ungekrönten Herrscher. Es war zu keiner Krönung Napoleons III. durch Pius IX. gekommen, wiewohl sie der Kaiser der Franzosen heftig anstrebte. Pius IX., der den Aufstieg Louis Napoleons zum Präsidenten und schließlich zum Kaiser mit Sympathie verfolgt hatte, unterließ eine Reise zur Krönung des neuen Kaisers nach Paris mit Rücksicht auf die anderen Mächte. Und dies, obwohl er persönlich nicht abgeneigt gewesen wäre, Napoleon in der Hauptstadt seines Reiches zu krönen. Er ließ dem Kaiser mitteilen, einer Krönung in Rom stünde von seiten des Papstes nichts im Wege. Der französische Botschafter in Rom, Ségur, machte den Vorschlag, den Kaiser der Franzosen in Paris und den Kaiser von Österreich in Wien zu krönen, aber es kam weder in Paris noch in Wien zu einer Krönung. Thun fand sein Begehren, Weglassung der Bestimmung über Salbung und Krönung und Umgestaltung der im Breve vom 5. Mai 1761 enthaltenen liturgischen Vorrechte im Sinne des Dekretes der Ritenkongregation von 1857 für den Kaiser der Franzosen hinlänglich gerechtfertigt. Die Verhandlungen des österreichischen Botschafters mit dem Kardinalstaatssekretär verliefen in einer ausgesprochen freundschaftlichen Atmosphäre. Der Kardinalstaatssekretär bekundete von Anfang an die Bereitschaft des Vatikans, den österreichischen Wünschen zu entsprechen. Das Ministerium des Äußeren ließ nach Beratung mit dem Ministerium für Kultus und Unterricht die österreichischen Wünsche durch den Botschafter überreichen87). Diese Forderung bedeutete eine Erweiterung der dem Kaiser von Österreich als König von Böhmen und Ungarn und Souverän der übrigen Erblande zustehenden Rechte. Denn der König von Ungarn wurde weder in den Fürbitten des Karfreitags noch im praeconium paschale und in der Allerheiligenlitanei am Karsamstag genannt, der in Frankreich nach der Communio übliche Versikel Domine salvum fac imperatorem war in der österreichischen Monarchie unbekannt, er hatte sich nur in Verona als Relikt der französischen Herrschaft für bestimmte Festtage erhalten88). Diesen Brauch neu einzuführen, hielten weder der Minister Thun noch Kardinal Rauscher für günstig. Es erschien Thun angemessener, die Erlaubnis, in jeder Messe eine oratio pro imperatore verrichten zu lassen, in Rom zu 87) Weisung an Colloredo, 1858 Juni 20 (Admin. Reg. F 1, Fz. 135). 88) Schreiben des Fürsterzbischofs von Wien Kardinal Rauscher an den Minister für Kultus und Unterricht, 1859 Oktober 4 (Abschr. Beilage zu Note 1859 des Ministeriums für Kultus und Unterricht, November 15, 1482 Admin. Reg. F 1, Fz. 135). CUM